Nordwind: Kriminalroman (German Edition)
übertrieben deutlich und nickte aufmunternd. Sie wandte sich wieder Henrik zu.
»Ich weiß«, sagte er, »du hast ja recht. Aber können wir nicht erst mal nach Hause fahren und alles in Ruhe besprechen? Wir müssen doch die Alarmanlage installieren.«
»Ich schlafe heute Nacht nicht dort.« Sie sah ihn mit starrer Miene an.
»Können wir nicht zu Hause darüber reden?«
Malin wollte gerade protestieren, als er fortfuhr:
»Ich werde dich nicht zwingen, dort zu übernachten, wenn du nicht willst. Das verspreche ich dir. Aber können wir nicht jetzt nach Hause fahren? Ich will hier nicht wie ein Volltrottel auf der Straße stehen und diskutieren. Wenn du heute Abend immer noch das Gefühl hast, nicht zu Hause schlafen zu können, fahren wir nach Visby und gehen ins Hotel. Einverstanden?«
Malin wandte sich ab und blickte eine Weile reglos aufs Wasser. Eine Fremde hatte ihre Tochter von der Schule entführt. Es war wie ein nicht enden wollender Albtraum.
»Ich wünschte, man könnte sich einfach irgendwo eine Pistole kaufen«, sagte sie, ohne Henrik anzusehen.
»Ich weiß, was du meinst«, erwiderte er.
Die Frage war nur, auf wen sie schießen wollte. Die Person, die ihnen das hier antat, schien immer einen gehörigen Abstand zu halten. Sie war zu weit weg, als dass man sie wenigstens erkennen könnte.
»Na gut«, lenkte Malin ein, »fahren wir nach Hause.«
Vielleicht waren sie dort ja doch sicher. Alles, was bislang passiert war, hatte sich hinter ihrem Rücken ereignet. Die Person, die all diese Taten verübte, schien nicht den Mut zu haben, ihnen direkt gegenüberzutreten. Sie handelte im Geheimen. Was würde als Nächstes passieren? Würde das Haus abbrennen, wie sie eben geschrien hatte? Vermutlich nur, wenn sie nicht zu Hause waren. Das klang logisch. Es passte ins Muster. Oder war das Ganze nun vorbei? Gab es vielleicht gar kein nächstes Mal? Malin konnte es sich nur schwer vorstellen.
25
Die Fähre wurde langsamer und legte sanft in Broa an. Schon nach wenigen Sekunden wurde die Klappe hinuntergelassen, und die Absperrungen wurden hochgefahren.
»Die Frage ist, ob diese Frau Ellen zunächst entführen wollte, sich dann aber anders entschieden und das Mädchen wieder freigelassen hat, oder ob sie das von Anfang an so geplant hatte«, sagte Sara, während sie auf der Fåröer Seite von der Fähre rollten.
»Um ihr einen Schreck einzujagen?«, fragte Fredrik.
»Ja.«
Eine unbekannte Frau, blond und um die dreißig, hatte Ellen unter dem Vorwand, den Weg zur Fähre nicht allein zu finden, ins Auto gelockt und ihre Geschichte mit einem niedlichen Katzenjungen ausgeschmückt und damit, dass sie beide Ellen hießen. Mehr wussten sie im Grunde nicht.
»Mich beschäftigt, dass der Schulhof so dicht an der Straße liegt«, sagte Fredrik. »Da kann man mühelos anhalten und ein Kind ansprechen, aber andererseits muss es schwierig sein, es zum Einsteigen zu bewegen, ohne dass die anderen Kinder es mitbekommen. Die Frau, die Ellen entführt hat, hat anscheinend den richtigen Zeitpunkt abgewartet.«
»Entweder das, oder die Sache hat überhaupt nichts mit Ellen zu tun«, erwiderte Sara. »Vielleicht war das einfach eine Irre, die vorbeikam und zufällig Glück hatte.«
»Wenn es sich um einen gewöhnlichen Triebtäter handeln würde, wäre das am wahrscheinlichsten«, sagte Fredrik. »Aber hier sind nicht nur Drohungen im Spiel, sondern wir haben es außerdem mit einer Frau zu tun, und obendrein ist Ellen wieder zurückgekommen.«
»Du hast recht«, erklärte Gustav hinterm Lenkrad, »es war geplant.«
Er hatte seit ihrer Abfahrt von der Schule in Fårösund kein Wort gesagt.
»Ja, vermutlich«, meinte Fredrik. »Ich wollte darauf hinaus, dass diese Frau, wenn sie es tatsächlich auf Ellen abgesehen hatte, mehrmals bei der Schule gewesen sein und im Auto gewartet haben muss.«
»Und dann ist sie sicher jemandem aufgefallen«, fügte Sara hinzu. »Oder zumindest ihr Auto.«
»Eine andere Möglichkeit wäre, dass diese Person immer engere Kreise zieht«, sagte Fredrik. »Erst greift sie aus der Entfernung an, indem sie in Abwesenheit der Familie ein Bild im Haus zerstört und andere stiehlt, und als die Familie zurück ist, legt sie ein weiteres in den Briefkasten. Und nun schnappt sie sich eins der Kinder.«
»Du meinst, die Person kommt immer näher?«
»Ja. Das ist ein bekanntes Muster. Zuerst Gewaltandrohung aus der Distanz, und mit der Zeit wird der Täter mutiger und rückt näher heran.
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