Nordwind: Kriminalroman (German Edition)
war auch Malins Lieblingsbuch gewesen, als sie klein war. Die Seiten waren abgegriffen und der Einband eingerissen.
Henrik packte unten die Alarmanlage aus, zu deren Anschaffung sie ihn überredet hatte. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn zuerst von einem Gerät für siebentausend Kronen überzeugt hatte und sich dann überhaupt nicht mehr im Haus aufhalten wollte. Aber die Umstände hatten sich eben verändert. Milde ausgedrückt.
Als sie nun mit den Kindern im Bett saß, hatte sie trotzdem ein gutes Gefühl. Die beiden fühlten sich offensichtlich geborgen hier. Sie hingegen wurde den Gedanken nicht los, dass sie sich in einer falschen Sicherheit wiegten. Dort draußen gab es eine Person, die wusste, wo sie wohnten. Die in ihrem Haus gewesen war. Die ihre Tochter in ein Auto gelockt hatte. Eine blonde Frau. War es dieselbe, die sie vor der Schule angestarrt hatte?
Axel schmiegte sich an sie und zeigte auf den Kinderzimmertroll Ture im Buch.
»Er zieht den Stöpsel raus.«
Das sagte Axel jedes Mal, wenn sie bei der Seite mit den grimmigen Haien mit den messerscharfen Zähnen angelangt waren. Als wollte er sich versichern, dass alles gut werden würde.
»Hm«, brummte Malin nur, um das Ende noch nicht zu verraten.
Bevor sie weiterlas, musterte sie ihn rasch von der Seite. Axel war vollkommen auf das Buch konzentriert. Die Aufregung am Samstag hatte er komplett verschlafen, und was seiner Schwester gestern zugestoßen war, wusste er auch nicht. Oder hatte er doch etwas mitbekommen? Hatte Ellen ihm davon erzählt? Sollte sie Ellen vielleicht bitten, es ihm nicht zu sagen, oder ließ sie das besser sein? Sie war so unsicher.
»Lies weiter«, drängte Axel.
Er trampelte einen kleinen Trommelwirbel auf die Bettkante.
Malin las weiter. Der Kinderzimmertroll zog den Stöpsel heraus, die Haie und der ganze Ozean gluckerten durch den Abfluss, und die Geschichte war zu Ende. Sie schlug das Buch zu. Axel hopste sofort vom Bett, rannte zum türkisfarbenen Sekretär und holte sich Papier und Wachsmalstifte. Das einst braune, abgegriffene Möbelstück hatte schon bei ihrem Einzug im Haus gestanden. Malin hatte es neu lackiert.
Ellen blieb neben ihr sitzen. »Kannst du nicht noch etwas vorlesen?«
»Nein«, protestierte Axel.
»Du brauchst ja nicht zuzuhören«, sagte Malin. »Du kannst doch einfach dort sitzen und malen.«
»Nein!«
»Hör auf«, bat Ellen.
Seit sie von der Schule zurück waren, hatte Ellen die Frau im Auto mit keinem Wort erwähnt. Dachte sie etwa gar nicht mehr daran? Vielleicht hatte das Ereignis keine tieferen Spuren bei ihr hinterlassen. Eine Frau hatte sie gebeten, ihr den Weg zur Fähre zu zeigen, und hatte sie einen Kilometer von der Schule entfernt wieder abgesetzt, obwohl sie versprochen hatte, sie zurückzufahren.
War es wirklich so einfach? Malin bezweifelte das. Mit Sicherheit hatten sich zumindest die Sorgen, die Malin, Henrik und die anderen Erwachsenen sich gemacht hatten, auf sie übertragen. Bestimmt fragte sie sich auch, was ihr da eigentlich passiert war. Die vielen Polizisten … Und warum waren sie vor Schulschluss nach Hause gefahren?
Eine Nacht im Hotel würde sie noch nervöser machen.
»Ich muss dich etwas fragen.« Behutsam legte Malin den Arm um Ellen.
Ellen schwieg.
»Was hatte diese Frau in dem Auto für eine Haarfarbe?«
Ellen sah sie an. »Blond, das hab ich doch schon gesagt.«
»Ja, sie hatte helle Haare. Aber die sehen doch nicht immer gleich aus, oder? Lisa zum Beispiel. Sie ist auch blond, aber ihre Haare haben verschiedene Farben. Manche sehen fast …«
»… hellbraun aus«, vollendete Ellen mit plötzlichem Eifer den Satz.
»Deshalb habe ich mich gefragt, ob du dich wohl erinnerst, wie es bei dieser Frau war. Sahen ihre Haare überall gleich aus, oder war es eher so wie bei Lisa? Vielleicht war ja auch ein anderer Farbton dabei?«
Als Malin auf die Frau zurückkam, schien Ellen das Interesse wieder zu verlieren. Sie senkte den Blick und rieb sich die Nase.
»Kannst du dich erinnern?«
Ellen seufzte.
Was hatte Sara Oskarsson zu Henrik gesagt? Ihr braucht sie nicht damit zu quälen. Tat sie das? Quälte sie ihre Tochter?
»Sie hatte hellblonde Haare«, sagte Ellen. »Heller als die von Lisa.«
Malin strich Ellen über den Rücken. »Manchmal sehen blonde Haare ja auch ein bisschen rötlich aus. Man bezeichnet sie trotzdem als blond, aber in Wirklichkeit sind sie auch ein klein wenig rot. Das sieht dann nicht richtig rot aus,
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