Notbremse
wagten offenbar nichts einzuwenden. Hocke stand noch immer stocksteif und war darauf gefasst, dass jeden Augenblick etwas Schreckliches geschah. Ihm schien es, als seien seine Gedanken gelähmt. Irgendetwas war geschehen, für das es keine Erklärung gab. Oder doch, durchzuckte es seinen Kopf. Er war möglicherweise zwischen die Fronten geraten. Verdammt, wie hatte er sich jemals auf so etwas einlassen können? Das Ganze war vermutlich um einige Nummern zu groß für ihn. Doch jetzt war es zu spät, um einfach wegzulaufen. Ganz abgesehen davon, dass sie ihn vermutlich gar nicht weglaufen lassen würden.
Linkohr hatte der – wie er vermutete – alternden Sekretärin der Detektei Hocke und Hocke nahegelegt, sich sofort ins Auto zu setzen und nach Ulm zur Gerichtsmedizin zu fahren. Doch Frau Schittenhelm vermochte nicht nachzuvollziehen, weshalb der Kriminalist so sicher sein konnte, dass einer ihrer beiden Chefs ermordet worden war. Allerdings musste sie einräumen, schon seit zwei Tagen nichts mehr von Friedrich Hocke gehört zu haben. Dies aber, so versicherte sie, sei ganz normal, da sich die beiden Brüder auf höchst geheime Aufträge spezialisiert hätten. Um keinerlei Spuren zu hinterlassen, legten sie sich gelegentlich auch eine andere Identität zu oder mieden es, Telefongespräche zu führen oder anderweitig Kontakt aufzunehmen. Sie selbst, so versicherte Frau Schittenhelm, habe mit den Fällen überhaupt nichts zu tun. Ihre Aufgabe sei es, Termine mit neuen Klienten auszumachen und vor allem Rechnungen zu schreiben und die Zahlungseingänge zu kontrollieren. Die Gebrüder Hocke seien eingefleischte Junggesellen, die sich oftmals tage- oder gar wochenlang auswärts aufhielten. Und vielsagend hatte die Frau am Telefon hinzugefügt: »Sie müssen wissen, die beiden haben Kontakte bis in die höchsten Ebenen. Nicht, dass Sie denken, Sie hätten’s mit Amateurdetektiven zu tun. Es gibt wenige in Deutschland, die so erfolgreich sind.«
»Hatten Sie denn gestern oder vorgestern Kontakt zu den beiden?«, wollte Linkohr wissen.
»Ich sagte doch bereits«, entgegnete die Frau brüsk, »ich werde über die Ermittlungen der beiden Herrn nicht auf dem Laufenden gehalten.«
»Und wenn Sie die Herrn mal dringend benötigen?«, ließ Linkohr nicht locker.
»Dann schreib ich Ihnen eine E-Mail. Die können die Herrn überall von unterwegs abrufen.«
»Dann erhalten Sie auf diese Weise auch eine Antwort?«
»Ja, wenn nötig.«
»Und wann ist die letzte Antwort bei Ihnen eingetroffen?«
»Vor drei Tagen. Aber das hat nichts zu bedeuten. Manchmal höre und lese ich von ihnen auch mal ein, zwei Wochen nichts. Das kommt immer drauf an, wo sich die Herren aufhalten.«
»Gab es denn schon eine Antwort aus China?«
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen solche Fragen beantworten muss«, kam es zurück. Linkohr entschied, nicht weiter nachzubohren. Ihm war es jetzt wichtiger, die Frau davon zu überzeugen, sich in der Ulmer Gerichtsmedizin den unbekannten Toten aus dem ICE anzusehen. Schließlich willigte Frau Schittenhelm einigermaßen missmutig und mit hörbar spitzer Stimme ein, sich auf den Weg zu machen. In zweieinhalb Stunden, so schätzte sie, würde sie dort sein. Also um die Mittagszeit.
Insgeheim hatte sie sich tatsächlich schon Sorgen gemacht. Vor allem Dieter Hockes Reise nach China war ihr von Anfang an suspekt erschienen.
Mike Linkohr konnte sich nicht mehr zurückhalten: »Da haut’s dir ’s Blech weg.« Die hinzugezogenen Spezialisten hatten inzwischen die Dokumente ausgewertet, die sich in dem Koffer befanden, und das Kuvert an Häberle geöffnet. Das Schreiben an den Kommissar war zur Sonderkommission gefaxt worden. Es war eine einzige DIN-A4-Seite, auf der mit dickem Filzstift und akkurater Handschrift zu lesen stand: »Das wird die Welt interessieren. Dieser Aktenkoffer stammt von Kai-Uwe Horschak, Handelsvertreter bei Firma ›Donau Pharma AG‹. Schauen Sie sich den Rieder an.«
»Horschak«, stellte Fludium fest, der sich über die Schulter seines am Schreibtisch sitzenden jungen Kollegen gebückt hatte. »Den Namen kennen wir doch. Und den Rieder auch.«
»Natürlich«, begriff Linkohr. »Klar doch.« Er schob den Zettel beiseite, um in seinen gestapelten Akten zu wühlen. »Der Horschak, das war doch der, der nach der Notbremsung vom Bereich der Steige aus nach Ulm zu diesem Pharmakonzern telefoniert hat. Seh ich das richtig?«
»Exakt«, erwiderte Fludium und nahm das Fax in die Hand,
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