Nottingham Castle, letzte Tuer links
Nichts für einfache Burschen
wie mich.”
Er
musste die Zahl falsch verstanden haben. Hundertfünfzigtausend! Susannah nagte
an ihrer Unterlippe.
„Was
bedeutet das für uns, wenn John soviel Pfund Silber zusammenkratzen muss?”,
fragte sie, eher an ihren Vater gewandt.
„Dass
die Bauern noch mehr bluten müssen, wenn wir Pech haben.”
„Aber
das geht nicht!”, stieß sie hervor. „Der Sheriff presst doch ohnehin schon
alles aus ihnen heraus, weil er sich bei Sir John einschmeicheln will. Und am
besten irgendwann selbst bei Hofe herumstolzieren möchte.”
Ihr
Vater strich sich übers Kinn. „Er wird bei John äußerst beliebt sein, wenn er
aus dieser Grafschaft das Höchstmaß an Steuern herausholt. Nun umso mehr, wenn
dieser das Lösegeld zusammenkriegen muss. Der ist froh um jeden Unterstützer,
denn viele sind immer noch seinem Bruder Richard treu ergeben und trauen Sir
John nicht übern Weg.”
„Zurecht!”
Sie warf ihre Haare über die Schulter. „Richard würde im Gegensatz zu seinem
Bruder nie zulassen, dass das Volk so ausgenommen wird.”
Mit
überraschtem Gesichtsausdruck, aber schweigend, verfolgte der Werkzeugmacher
das Gespräch. Susannah musste trotz der Ernsthaftigkeit des Themas schmunzeln,
als sie seine entsetzte Miene sah. Er fand es sicher mehr als ungewöhnlich,
wenn nicht sogar unpassend, dass sie als Frau derartige Reden schwang. Sicher
war es besser, wenn sie ihn von ihrer Gegenwart erlöste.
„Mir
ist warm geworden bei diesen Nachrichten”, erklärte sie und fächelte sich mit
der Hand Luft zu. „Ich glaube, ich geh ein wenig vor die Tür. Und vielleicht
schau ich noch nach Anne. Wenn ich sowieso unterwegs bin, möchte ich noch
Jolandas Kind abhören. Sie hat sich beklagt, dass der Kleine abends immer
hustet.“
Das
war maßlos unhöflich, was ihr bewusst war. Aber sie hatte absolut keine Lust
mehr, bei langweiligen Tischgesprächen mit diesem Handwerker zu sitzen und das
törichte Hausmütterchen vorzuspielen. Abgesehen davon, dass es nicht ratsam
war, zu spät aufs Castle zu kommen.
„Seltsam”, sagte ihr Vater, ich habe Jolanda heute auf dem Markt getroffen, da
hat sie gar nichts davon erzählt.“
„Nun, ich bin ja auch ihre Hebamme. Und manchmal bereden wir eben auch noch
Frauensachen, weißt du?“ Sie sah ihn vielsagend an.
Er
nickte lächelnd. Wurde dann ernst. „Weil du gerade von Jolanda sprichst, da
habe ich eine eigenartige Geschichte gehört. Der Sheriff soll dich neulich von
dort verschleppt haben. Angeblich sogar gewaltsam auf sein Pferd gezogen,
stimmt das?”
Sein
durchdringender Blick war ihr gar nicht geheuer. Und auch der Abendessensgast
sah sie neugierig an.
„Also, so dramatisch war das auch nicht, die Leute übertreiben doch immer”,
erklärte sie schnell und winkte ab. ”Als du nicht da warst, hat er mich mal
holen lassen, um einen Schnitt am Kinn zu nähen. Und neulich brauchte er eben
wieder eine gute Wundversorgung für einen Bediensteten. Hast du schon mal
gesehen, wie seine Soldaten zusammengeflickt werden? Seine Pfuscher vernähen
die Wunden mit einer Fünfer-Nadel und nehmen normales Garn. Von einer inneren
Naht haben die auch noch nie etwas gehört!“
Ob er sich wirklich durch ein ärztliches Fachgespräch ablenken ließ? Sein Blick
blieb ein wenig skeptisch, aber er gab sich für heute mit der Erklärung
zufrieden. Vielleicht auch deshalb, weil sie nicht alleine am Tisch saßen. Da
hatte der brave Werkzeugmacher nun zumindest dafür gesorgt, dass sie einem
väterlichen Verhör entkommen war. Erleichtert ging Susannah in den Stall, um
ihr Pferd zu holen. Wie hätte sie auch die wahren Hintergründe ihres Aufbruchs
in Richtung Nottingham Castle erklären sollen?
*
Eine
Stunde später betrat sie wieder einmal das übliche Zimmer im Westflügel und
wurde gleich gebührend begrüßt.
„Warum
kommst du denn so spät, Weib?“, fuhr er sie an.
„Aber Sire”, erwiderte sie, „ich wollte sichergehen, dass Ihr Euer Mahl beendet
habt. Wäre doch schade, wenn meinetwegen wieder das Geflügel kalt wird.”
Er
lachte.
Dann
hob er ihr seinen Weinkelch entgegen, als wollte er ihr damit zuprosten.
Susannah
entspannte sich ein wenig. Wenn sie nicht vollkommen falsch lag, begann der
Sheriff von Nottingham, das Spiel mit ihr zu genießen.
„Was hast du dir denn für heute ausgedacht?“
Er stand
von seinem thronartigen Stuhl auf und kam auf sie zu. Ganz nah. Seine grünen
Augen sahen sie erwartungsvoll an. Er roch nach Wein und altem
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