Nox Eterna - Die ewige Nacht der Anne Oxter
zu hören. Nox lachte hämisch, genoss ihren Triumph, bedeutete dann den Soldaten der Schwarzen Garde mit herrischem Blick, dass sie den Delinquenten freilassen sollten.
„Lasst ihn gehen, diesen Verräter! Er soll das Zeugnis meiner Macht abgeben und seinen stummen Schrei in sein Heimatdorf tragen, damit jeder sehen kann, was er zu erwarten hat, wenn er sich mir und meinen Gesetzen widersetzt.“
VII
20. August 2010
Anne hatte es fast geahnt: Diese merkwürdige Form von Stille wurde zu ihrem neuen Problem. Es war nicht so, dass sie nicht mehr mit Alan reden konnte, sie unterhielten sich angeregt über dies und das, wenn sie sich trafen, wobei meist Anne redete und Alan zuhörte. Sie sprachen durchaus auch über sehr persönliche Dinge und sie tauschten auch wie andere Liebende kleine, lustige Mitteilungen über ihre Empfindungen aus.
Doch auf eine rätselhafte Weise umhüllte die Stille den Kern ihrer Gefühle wie eine schwarze Folie. Sie konnten nicht wirklich zueinander durchdringen oder genauer gesagt: Alan bemerkte offenbar nichts davon, es war Anne, deren Gefühlswelt mit diesem Bann belegt schien. Sie konnte nicht wirklich – fühlen.
Dass diese Wahrnehmung zunächst Alan betraf, lag vermutlich an der Intensität ihrer Verbindung, aber auch im alltäglichen Umgang mit anderen Menschen bemerkte Anne zunehmend ihre … Ja, was war es eigentlich? Ihre Behinderung? Ihre Gefühlsstörung? War es eine Art Depression oder hat tatsächlich Nox ihre langen magischen Finger im Spiel? Konnte es sein, dass so etwas wie ein magischer Schild ihr Inneres eingekapselt hatte?
22. August 2010
Silly war außer sich. Sie hatte Millie Mason in der Stadt getroffen und war von ihr zunächst in eine ausgesprochen freundliche Unterhaltung verwickelt worden. Silly vermutete schon, dass sich eine wenig nette Absicht hinter diesem überraschenden Verhalten verbarg, und es dauerte nicht lange, bis Millie zum Kern der Sache kam:
„Cooler Typ, übrigens, dieser Peter Drachkin! Ich hätte auch schon ein Auge auf ihn geworfen, aber wie man hört, steht er ja mehr auf die Sorte Frauen, die alles mit sich machen lassen … Du weißt schon … Und da ist er bei dir ja wohl ganz richtig! Und du sollst ja nicht schlecht sein …“
„Wie bitte?“ Silly war außer sich. „Woher weiß du von uns? Und was soll das heißen: alles mit sich machen lassen?“
Millie grinste breit: „Was die Männer eben so angemacht – für mich wäre das nichts … igitt!“
Sie hatte die Falle perfekt gestellt, und Silly war, naiv und arglos, hineingetappt. Sie kam sich schmutzig und klebrig vor, obwohl sie sich nichts vorzuwerfen hatte und eigentlich kein Grund dafür bestand. Perfekte emotionale Manipulation, dachte ihr Verstand, aber ihre Gefühle waren aufgebracht und nicht mehr unter Kontrolle zu halten. Sie musste einen Trennungsstrich ziehen, so schmerzhaft das für sie war, denn Pieter hatte wohl mit seiner Eroberung geprahlt und Dinge verbreitet, die nicht an die Öffentlichkeit gehörten.
24. August 2010
Silly kurze Freundschaft mit Peter war mit einem Schlag beendet. Seine Indiskretion – jedenfalls musste Silly eine solche vermuten – konnte sie nicht tolerieren, und außerdem war er jetzt häufiger mit Millie Mason anzutreffen, als es für eine Beziehung gut sein konnte. Silly wusste nicht, das Millie mit einer ebenso hinterhältigen wie ausgekochten Geschichte Peter für sich gewonnen hatte.
Anne bewies sich als gute Freundin. Silly war am Boden zerstört, brauchte Annes Zuwendung und Unterstützung. Ja, Anne tröstete Silly, hielt sie im Arm, sprach ihr gut zu, sagte Sätze wie „Dieser Kerl hat dich doch überhaupt nicht verdient!“, aber etwas fehlte.
Ja, Anne funktionierte als soziales Wesen, wie es ihre Sozi-Lehrerin ausgedrückt hätte, aber sie fühlte nichts, sie spielte eine Rolle, gab vor, so zu fühlen, wie sie früher gefühlt hatte. Die schwarze Stille hatte ihr Mitleid für Silly erstickt. An seine Stelle war eine diffuse Angst getreten, die Angst vor nächtlicher Magie, die Angst um ihre geistige Gesundheit.
28. August 2010
Anne wurde immer stiller, zog sich zurück, wenn sie konnte. Stille produziert neue Stille, dachte Anne, wenn sie sich selbst beobachtete. Statt mit jemanden zu reden, verdämmerte sie ihre Tage in ihrem Zimmer, verstieg sie sich lieber in die seltsame Welt ihrer Verstrickungen zwischen Traum und Wirklichkeit, knüpfte dort neue
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