Nubila 01: Das Erwachen
dass die Gäste sie nicht belauschen konnten. Allerdings war ihre Sorge vollkommen unbegründet. Die Herren hätten sie wahrscheinlich nicht einmal beachtet, wenn sie plötzlich angefangen hätte zu schreien.
„ Wenn sie selbst kurz vor dem Aussterben stehen, weshalb erschaffen sie dann bewusst eine völlig neue Rasse, die ihnen unter Umständen auch gefährlich werden könnte?“, fragte Kathleen leise.
„ Inwiefern sollen wir ihnen denn gefährlich werden?“, fragte Delilah spöttisch. „Sie sind schneller als wir, sie sind intelligenter als wir und wir haben nicht den geringsten Grund sie anzugreifen.“
Kathleen verzog ungläubig den Mund.
„ Wäre Freiheit ein schlechter Grund?“
„ Oh, Kathleen. Ich würde meine Herren nicht einmal verlassen, wenn man mir mit dem Tod drohen würde. Ich kenne nichts anderes und ich würde sie auf gar keinen Fall im Stich lassen.“
„ Im Stich lassen? Du meinst…“
„ Oh ja. Überleg mal, wir würden alle einfach gehen. Wer würde denn dann den Schlaf von Lady Doreen und Sir Viktor bewachen?“
Kathleen erwiderte nichts. Delilah hatte Recht. Ihr war bereits aufgefallen, wie ergeben die meisten Diener ihren Herrn waren und sie vermutete dass sie alle einfach so erzogen worden waren. Doch als sie aufsah und Jason mit Cynthia über die Tanzfläche fliegen sah, kam sie ein wenig ins Grübeln. Jason war der einzige im Haus, bei dem sie das Gefühl hatte wirklich als Person wahrgenommen zu werden und wenigstens etwas Verständnis zu erhalten. Und als sie nun beobachtete, wie Jason Cynthia im Arm hielt und sie Pirouetten drehen ließ, spürte sie auf einmal einen Stich feuerheißer Eifersucht.
Es war einfach so ungerecht. Warum musste sie selber einen hässlichen blauen Sack tragen und herumlaufen um Gläser nachzufüllen, während Cynthia schöne Kleider tragen durfte und sich amüsieren konnte. Warum wurde sie nicht beachtet, während Cynthia von allen angesehen wurde. Das war wirklich nicht fair. Doch Kathleen war klar, dass sie sich eigentlich selbst belog. Was sie wirklich störte waren weder das Kleid noch der Schmuck, den Cynthia trug. Sie war auch nicht neidisch, weil Cynthia von allen beachtet wurde oder mit Respekt behandelt wurde. Was sie wirklich störte war, dass Cynthia mit Jason tanzte.
Kathleen wusste, dass sie kein Anrecht auf ihn hatte und dass sie niemals dazu kommen würde, mit ihm zu tanzen, weil sie einfach in verschiedenen Welten lebten. Aber, verdammt, sie wünschte es sich so sehr. Sie konnte nicht genau sagen, wann sie aufgehört hatte ihn zu hassen, aber irgendwann in der Zeit seit ihrem ersten Erwachen, war Jason für sie zu ihrem absoluten Lebensmittelpunkt geworden. Ein Tag war erst dann ein guter Tag, wenn sie ihn sah und es war immer dann ein schlechter Tag, wenn sie wusste dass er nicht zu Hause war, und auch nicht so bald wieder kommen würde.
Alles in ihrem Leben drehte sich um ihn und auf einmal wurde ihr klar, dass sie sich tatsächlich wie ein Hundchen benahm, das auf sein Herrchen wartete. Delilah hatte tatsächlich Recht. Auch sie wäre wahrscheinlich nicht in der Lage Jason zu verlassen oder ihm gar etwas anzutun. Damit würde sie sich vermutlich höchstens selber schaden.
„ Kathleen?“, sagte Delilah besorgt, als sie merkte wie ihre Freundin die tanzenden Paare anstarrte.
„ Komm schon, Kath“, drängte sie. „Wir müssen weitermachen.“
Mit aller Kraft riss Kathleen ihren Blick von der Tanzfläche los und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Delilah.
„ Du hast recht“, gab sie zu. „Sieht so aus, als würde das heute noch eine ziemlich lange Nacht werden.“
Als die Gäste endlich alle verschwunden waren, stieß Jason einen erleichterten Seufzer aus. Er ließ sich auf einen der Sessel fallen und schloss für einen kurzen Augenblick die Augen. Ein Fest wie dieses zu veranstalten hatte er selber schon immer als überaus anstrengend empfunden und er war froh, dass dieses Mal Violette weitgehend für die Bewirtung der Gäste zuständig gewesen war. Zumindest hatte seine Degradierung diesen einen Vorteil gehabt.
„ Herr?“
Jason brauchte nicht die Augen zu öffnen, um zu wissen, dass es Kathleen war, die ihn angesprochen hatte. Er kannte den Klang ihrer Stimme inzwischen ganz genau und irgendwie war er froh, dass ihre Aussprache wieder den leicht rebellischen Unterton angenommen hatte, wenn sie ihn mit Herr ansprach. Demut stand ihr irgendwie nicht.
„ Hm“, machte Jason, ohne dabei die Augen zu
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