Nuhr, Dieter
Aber sie tat es nicht. Weil ja das erste Gebot
lautet: »Irgendwas ist immer.« Allerdings war kein Plastikschnippel
abgebrochen. Das fand ich schon komisch!
Bei meinem neuen Tischstaubsauger war dann wieder alles in
Ordnung: Der Plastikschnippel für die Wandhalterung war abgebrochen. Egal. Ich
glaube indessen: Wenn nichts abbricht, ist etwas kaputt. Als ich merkte, dass
bei meinem neuen DVD-Player alles völlig in Ordnung war, habe ich ihn
umgetauscht. Er war mir irgendwie unheimlich.
Karneval 7. Februar 2002
Endlich ist Weiberfastnacht. Ich hingegen werde über Karneval
in Berlin sein - das ist eine Herausforderung für jeden Rheinländer. Weil es da
noch etwas Besonderes ist, wenn man singend und besoffen mit Pappnase durch die
Stadt läuft. Und alle rufen einem zu: »Du Jeck! Geh zurück in den Bundestag!«
Die kennen das ja nicht so. Zwar trinkt auch der Berliner gern mal einen, aber der
jahreszeitlich bedingte Exzess, verbunden mit unbegründeter Fröhlichkeit ist
dem Preußen fremd.
Der Preuße trinkt pflichtbewusst, ohne große Aufregung,
täglich - so wie der große Immanuel Kant es in seinem kategorischen Imperativ
vorgegeben hat: »Trinke so, dass dein täglicher Pegel jederzeit Grundlage
eines gepflegten Alkoholismus sein könnte.« Oder so ähnlich.
Der Rheinländer ist da anders, der ist Katholik. Bei ihm
gehört der Alkohol zur Liturgie. Er trinkt in Schüben, denn der Katholik liebt
das Zyklische: Erst wird gesoffen, dann gebeichtet, dann weiter gesoffen, das
ist der Kreislauf des Lebens ...
Das versteht der Berliner gar nicht. Zwar gibt es auch bei
uns Kritiker, die behaupten, der karnevalistische Exzess, also das dreitägige
Jedem-die-Zunge-in-den-Hals-Stecken und Knietief-durch-Erbrochenes-Waten sei
irgendwie krank. Da ist was dran. Aber vor Krankheiten sollte man nicht fliehen.
Die muss man erst in Ruhe diagnostizieren und dann kurieren.
Karneval ist im Grunde wie Windpocken. Wenn man immun
werden will, muss man dabei gewesen sein, man muss die Krankheit durchgemacht
haben, diese Erhöhung des eigenen Seins im Delirium der bewusstlosen Ekstase
und dann die Auflösung des Selbst im sinnentleerten Singen von Silbenkonglomeraten
zum Zwecke der Verbrüderung mit dem gesunden Volksempfinden. Also die
Auflösung des Menschen im Karnevalisten. Das ist bekloppt, aber lustig. Kann
man das so schreiben? Kann man. Ist ja gleich Karneval...
Olympia 21. Februar 2002
Morgen um 22:30 Uhr gibt es Curling, Finale der Herren.
Das wird wieder ein Bürsten und Rutschen und Fegen und ... Ich persönlich finde
ja Boccia schöner. Das macht man dort, wo es warm ist ... Aber egal - jeder,
wie er mag. Das ist eben so bei Olympia: Dass vieles bekloppt, aber dabei sein
alles ist.
Man lernt auch viel Neues bei Olympischen Winterspielen.
Ich dachte immer, die nordische Kombination wäre »Ein Bier, ein Korn«. Aber das
stimmt gar nicht. Das besteht aus zuerst Von-der-Schanze-Fallen und
anschließend Ski-Rumlaufen - eine der sinnlosesten Sportarten überhaupt, und
wahrscheinlich gerade deshalb so beliebt, weil man stundenlang davor sitzen
kann, ohne dass einem jemand die Frage beantwortet: »Warum guckt man sich das
an?«
Eine Frage, die man auch außerhalb der Olympischen Spiele
öfter mal stellen sollte, zum Beispiel bei »Wetten dass ...?«- vor allem, wenn
da einer vor 14 Millionen Zuschauern einen neuen Weltrekord im
Spülbürstenschlucken aufstellt. Das guckt man sich ja auch an. Warum soll man
dann nicht auch hinschauen, wenn junge Damen skeletieren? Nennt man das so?
Also das, was da gestern um 17:00 Uhr lief, das war doch Skeleton? Ich kannte
bisher nur »filetieren«. Aber das ist meines Wissens noch nicht olympisch.
Das kommt aber noch. Wenn sich dadurch über die Einschaltquote
Geld rausschlagen lässt, wird wahrscheinlich sogar Popeln bald olympisch - oder
Röcheln und Meucheln. Bald werden Olympische Spiele wahrscheinlich 25 Stunden
am Tag gesendet, 365 Tage im Jahr, auf 9-Live kommen die dann, durchgehend,
und man darf anrufen und bestimmen, wer gewinnt.
Oder dass der nächste Springer rückwärts von der Schanze
fallen soll. Oder dass beim Biathlon auf lebende Ziele geschossen wird. Das
wäre doch spannend: Man könnte einen mit einem Betttuch über dem Kopf hin- und
herlaufen lassen, verkleidet als olympischer Geist, und wer ihn erschießt, hat
gewonnen. Das fände ich mal super. Sehr authentisch. Ich glaube, da würde
sogar ich einschalten. Und ich gucke sonst gar kein Fernsehen außer
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