Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)
Phyllis sich noch einmal verheiratet und ihr Testament ändert.
»Nun ja«, gab Kapitän Sullivan zu bedenken, »so ganz unter sich sind Sie streng genommen allerdings nicht. Sie vergessen die fast sechshundert anderen Passagiere an Bord, plus dreihundert Besatzungsmitglieder.«
»Stimmt«, sagte Jeremy. »Die Victory ist, was die Anzahl der Menschen angeht, eine Kleinstadt.«
»Aber all die anderen kennen ihn doch erst recht nicht!«, rief Phyllis. »Keiner von denen hätte ein Motiv!«
Sheila legte ihrer Mutter eine Hand auf die Schulter. »Du darfst dich nicht so aufregen.«
»Und wenn es kein Motiv gäbe?«, warf Jeremy ein.
»Wie meinst du das?«, fragte Sheila.
»Es könnte eine spontane Tat gewesen sein«, sagte Jeremy. »Vielleicht hat Eden den Täter gar nicht gekannt.«
»Warum redest du immer von einem Täter?«, fragte Phyllis aufgebracht.
»Rein hypothetisch, meine Liebe«, sagte Jeremy. James hatte den Eindruck, dass Jeremy die jüngste Entwicklung nicht sonderlich belastete. Im Gegenteil, hinter seinem ernsten Auftreten schien sich ein Anflug von Heiterkeit zu verbergen. Männer wie Jeremy langweilten sich schnell, wenn es keine Krisen gab, die sie bewältigen konnten. Außerdem gefiel ihm der verschwundene Eden wahrscheinlich weitaus besser als der leibhaftige.
»Nehmen wir einmal an«, fuhr Jeremy fort, »Eden wurde rein zufällig Opfer von jemandem, der einfach mal ausprobieren wollte, wie es ist, zu töten. Jeder von uns kennt doch dieses eigenartige Gefühl im Bauch, wenn man von der Reling in die schäumende Gischt tief unten blickt, diese Mischung aus Angst und Faszination. Wir wissen, dass uns nur ein kleiner Schritt von diesem Punkt ohne Wiederkehrtrennt, und gleichzeitig ringen wir einen Moment lang mit der Sehnsucht, die Grenze zwischen Leben und Tod zu überschreiten – es wäre ja so einfach. Was, wenn jemand dieser Versuchung nachgegeben hat? Und sich dafür einen anderen ausgesucht hat, weil die Gelegenheit gerade günstig war? Er ist Eden irgendwo begegnet, weit und breit war gerade kein anderer Mensch in Sicht. Die beiden kannten sich nicht, haben sich vielleicht gegrüßt, als sie aneinander vorbeigingen. Und plötzlich dreht sich dieser Jemand um, greift den ahnungslosen Eden von hinten an und wirft ihn über Bord. Eden versinkt sang- und klanglos im Meer, und in wenigen Sekunden ist der ganze Spuk vorbei. Der Täter weiß, dass ihn keiner jemals überführen wird. Keine Zeugen, keine Beziehung zum Opfer, kein Motiv. Der perfekte Mord.«
Jeremy sah sich Beifall heischend um. Phyllis saß zusammengesunken in ihrem Rollstuhl. Sheila sah Jeremy wütend an.
James räusperte sich. »Bei aller Bewunderung für Ihre Fantasie, ich glaube nicht, dass es so passiert ist.«
Jeremy verzog spöttisch das Gesicht. »Bei Ihrem Beruf hätte ich erwartet, dass Sie um die Abgründe menschlichen Verhaltens wissen.«
»Tue ich auch«, gab James zurück. »Gerade wegen meiner Vergangenheit bin ich der Meinung, dass Morde aus purer Lust am Töten nicht zum normalen Verhaltensrepertoire des Menschen gehören. Anders wären wir alle wohl kaum so alt geworden, wie wir sind, nicht wahr.«
»Sie sind ja ein richtiger Philanthrop«, bemerkte Jeremy spöttisch.
»Oder es ist Selbstmord«, sagte der Kapitän nachdenklich.»Vor ein paar Wochen gab es tatsächlich einen solchen Vorfall. Zum Glück wurde der Mann von einer Segelyacht entdeckt und gerettet. Ein Wunder, dass er den Aufprall aus solcher Höhe überlebt hat.«
Das war der Moment, in dem Phyllis ohnmächtig wurde.
Kapitel 13
Es war schon weit nach Mitternacht, als Sheila aus Phyllis’ Kabine trat. Der Schiffsarzt hatte der alten Dame ein Beruhigungsmittel spritzen wollen, aber sie hatte sich standhaft dagegen gewehrt und verlangt, dass Charles Walther verständigt und sie in ihre Kabine gebracht wurde. Der Heilpraktiker war sofort gekommen und hatte ihr verschiedene Tropfen und Pillen aus seinem Wunderkoffer verabreicht. Phyllis hatte sich mit jedem Mittelchen, das sie dankbar schluckte, etwas mehr beruhigt, und nachdem Sheila ihr zum Abschluss die Brust mit Lavendelöl eingerieben hatte, war sie erschöpft eingeschlafen.
»Dieses ganze Zeug, das Charles ihr gegeben hat, ist vollkommen nutzlos«, sagte Sheila zu James, der vor der Tür auf sie wartete. »Aber sie ist überzeugt, dass es hilft, und das ist das Wichtigste. Der Glaube versetzt Berge. Als Placebos sind die Kügelchen ausgezeichnet.«
»Wie passt das zusammen?«, fragte
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