Nur dein Leben
ihrer Geburt versucht, eine Bindung zu ihnen aufzubauen!«, erwiderte Naomi.
Die Psychologin nickte und die Sorgenfalten auf ihrer Stirn vertieften sich. »In dieser Hinsicht könnte ich Ihnen sicher ein wenig Hilfestellung bieten. Doch es gibt gravierendere Probleme, die nichts mit dieser mangelnden Bindung zu tun haben.«
Naomi beobachtete sie und war beunruhigt über ihre veränderte Körpersprache. Als sie sie zum ersten Mal konsultiert hatten, war sie selbstsicher bis an den Rand der Arroganz gewesen. Doch nun wirkte sie nervös, spielte mit dem Plätzchen, rang die Hände, runzelte die Stirn. Alle paar Minuten verkrampfte sich ihr Gesicht, als kämpfe sie mit einem inneren Dämon.
»Ich habe Luke und Phoebe getrennt und gemeinsam beobachtet. Ich habe sie Puzzles legen sehen und trotz ihrer mangelnden verbalen Kommunikationsfähigkeit versucht, so gut wie möglich ihre Merkfähigkeit und ihre Gedankengänge zu analysieren. Herausgefunden habe ich, dass sie in puncto Intelligenz und Können ihrem Alter weit voraus sind. Sie scheinen zu jedem Zeitpunkt ihre gesamte Umgebung zu testen. Meist sind sie sehr verschlossen, dann wieder scheinen sie überall ihren Willen durchsetzen zu wollen – gegen die Kinder in der Spielgruppe, gegen Sie, und da sie sich gegen die Meerschweinchen nicht durchsetzen können, necken sie sie stattdessen und testen die Grenzen aus, bis wohin sie sie triezen können. Es ist, als überprüften sie permanent die Belastbarkeit von allem und jedem. Besonders zu schaffen macht mir ihre innere Einstellung – sie folgen vollkommen anderen Normen und haben ein anderes Kommunikationsmuster als alle anderen. Das liegt weit jenseits von allem, was ich bisher erlebt habe.«
»Meinen Sie ihre merkwürdige Sondersprache?«, fragte John.
»Das ist nur ein Teil des großen Ganzen. Als Sie mir beim ersten Mal davon erzählt haben, war ich skeptisch, aber inzwischen glaube ich Ihnen.«
»Welche Erklärung gibt es dafür?«, fragte John.
»So vollkommen in ihrer eigenen Welt zu leben, dass sie kaum auf einen von Ihnen, geschweige denn auf die Kinder in der Spielgruppe reagieren, ist typisch für Autismus. Anfangs hatte ich diese Diagnose ausgeschlossen, aber es ist auf jeden Fall eine Richtung, in der ich weiterforschen möchte. Ich werde vorschlagen, eine Computertomographie von ihren Gehirnen anfertigen zu lassen.«
»Autismus?«, fragte Naomi entsetzt. »Glauben Sie wirklich, sie sind autistisch?«
»Ich befürchte, das ist eine Möglichkeit. Ganz offensichtlich besteht irgendeine Störung, der wir auf den Grund gehen müssen.«
Naomi sah John an. Er drückte ihre Hand.
Die Psychologin fuhr fort. »Es gibt sehr primitive Wahrnehmungssysteme im Gehirn, die auf Sozialverhalten ansprechen und reagieren. Einer der Tests, die ich durchgeführt habe, hat ergeben, dass Luke und Phoebe diese Fähigkeit entweder fehlt oder die Mechanismen gestört sind.«
»Was bedeutet das genau?«, wollte John wissen.
»Ich bin mir nicht sicher, ob Ihre Kinder in der Lage sind, zu begreifen, was ein
normales
menschliches Miteinander bedeutet.«
John drückte Naomis Hand noch fester und blickte die Psychologin an. »Was sollten wir denn jetzt unternehmen?«
»Ich brauche ein wenig Zeit, um mir darüber klar zu werden«, wiederholte sie. »Eine Möglichkeit wäre, dass Sie sich eine Auszeit gönnen und Luke und Phoebe für eine Weile zur Beobachtung in eine psychiatrische Einrichtung geben.«
»Auf gar keinen Fall!«, erwiderte Naomi und sah sich Unterstützung heischend zu John um. Einen Moment lang schien er zu zögern, dann schüttelte er ebenfalls entschieden den Kopf.
»Ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie als Eltern gegebenenfalls gescheitert sein könnten«, beschwichtigte die Psychologin. »Wenn Ihre Kinder, wie ich vermute, hochintelligent und unterfordert sind, würde es ihnen unter Umständen guttun, wenn sie in einer Einrichtung für Hochbegabte untergebracht würden. Ich könnte Ihnen ein Internat empfehlen, das …«
»Nein danke!«, sagte Naomi. »Das kommt auf keinen Fall in Frage. Wir sind ihre Eltern; egal, welche Probleme sie haben mögen, wir werden ihnen helfen, damit fertig zu werden, was immer das uns abverlangt.«
»Eine Alternative wäre, ihnen zu Hause anspruchsvollere Möglichkeiten zu bieten. Behandeln Sie sie anders.«
»Wie denn?«, fragte John.
»Bieten Sie ihnen Spielzeuge und Spiele an, die eigentlich für wesentlich ältere Kinder gedacht sind. Kaufen Sie ihnen einen
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