Nur dein Leben
Computer. Sie sind fasziniert von Computern, deswegen beanspruchen sie den in der Spielgruppe ganz allein für sich.«
»Sheila«, sagte John. »Bitte beantworten Sie mir ganz offen eine Frage: Was würden Sie tun, wenn das Ihre Kinder wären?«
»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete sie erneut. »Ich muss darüber mit verschiedenen Kollegen reden – streng vertraulich natürlich. Ich möchte gern über ihre Symptomatik recherchieren. Ich wünschte, ich könnte eine Lösung aus dem Hut zaubern, aber ich befürchte, so einfach ist das nicht. Auf Sie wartet kein leichtes Leben.«
77
DIE HAUSTÜR ÖFFNETE SICH. Der Apostel legte den Finger auf den Knopf der Stoppuhr: 19 : 32 Uhr. Es war dunkel. Jemand kam mit einem großen Regenschirm aus dem Haus. Durch das Nachtsichtgerät sah der Apostel, dass es der Sünder war. Gleich darauf reagierten die Sensoren der Bewegungsmelder und die Strahler außen am Haus sprangen an.
Jetzt!
Der Apostel drückte auf den Knopf. Er stand sicher außer Reichweite der Strahler in der Dunkelheit auf dem nassen Feld, in denselben gefütterten Stiefeln, mit denen er über die verschneiten Bürgersteige von Rochester und New York City gelaufen war. Er trug mehrere Schichten warmer Kleidung, und der Schirm seiner tief ins Gesicht gezogenen Baseballkappe schützte sein Gesicht ein wenig vor dem gnadenlosen Wind und den wie Nadeln peitschenden Regentropfen.
Es war immer derselbe Regen, der endlos fiel, endlos wieder in die Wolken aufstieg, dann wieder herunterfiel. Das Wasser verdampfte aus der Kanalisation hinauf in die Wolken, fiel, stieg auf, man konnte ihm nicht entkommen, egal wo auf der Welt man sich aufhielt. Schnee aus dem Kanalisationswasser benetzte einen, Regen aus Kanalisationswasser durchweichte einen, es gab keinen Ort, an dem man ihm entrinnen konnte, es würde niemals einen geben, nicht, bis man die Kloaken reinigte, nicht, bis man die Städte, die Täler und Ebenen bis auf das letzte Atom vom Schmutz befreit hatte.
Er kontrollierte, ob der Zeiger der Stoppuhr sich bewegte und schaute dann wieder durch sein Nachtsichtgerät. Das Bild glühte rot durch die grellen Scheinwerfer. Der Sünder brachte eine Frau mittleren Alters in wehendem Mantel zu einem japanischen Kleinwagen, hielt ihr die Tür auf, schlug sie zu, nachdem sie eingestiegen war, eilte dann zurück auf seine Veranda. Jetzt erkannte der Apostel auch die Sünderin, die drinnen in der Diele stand. Beide winkten dem Auto nach. Keine Spur von einem Hund; ein Problem weniger, mit dem er fertig werden musste.
Wer die Frau wohl war?, fragte er sich und folgte den Scheinwerfern, die über die Hecken entlang des langen Feldwegs huschten und dann in der Dunkelheit verschwanden. Dann schob er das Nachtsichtgerät auf die Stirn und starrte durch den peitschenden Regen hinüber zum Haus. Die Sünder hatten die Tür geschlossen.
Er senkte das Nachtsichtgerät wieder, legte den Finger auf den Stoppuhrknopf und wartete. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Außenscheinwerfer erloschen.
Sofort drückte er den Knopf und sah auf die Uhr. Die Scheinwerfer waren auf drei Minuten eingestellt.
Der Apostel überquerte das Feld. Bis zum Morgen würde der Regen seine Spuren verwischt haben. Hinter einem Fenster im Erdgeschoss wurde das Licht eingeschaltet. Er setzte die Brille auf und schaltete die Infrarotfunktion aus. Der Sünder saß an einem Schreibtisch am Computer, schaltete die Büroleuchte ein, hob ein langstieliges Glas zum Mund und trank.
Sei still vor dem Herrn und harre auf ihn! Erhitze dich nicht über den Mann, dem alles gelingt, den Mann, der auf Ränke sinnt. Steh ab vom Zorn und lass den Grimm; erhitze dich nicht, es führt nur zu Bösem. Denn die Bösen werden ausgetilgt; die aber auf Land hoffen, werden das Land besitzen. Psalm 37 : 7 – 9 .
Der Apostel wohnte in einem kleinen, zugigen Zimmer in einem alten Hotel am Meer im Ferienort Brighton and Hove. Von seinem Zimmer aus blickte man auf eine windumtoste Promenade, einen rostigen, verrottenden Pier und das Meer, das dunkel und rastlos wogte wie sein Herz in jenen drei Tagen, die er hier bereits verbracht hatte.
Es wäre so leicht: Er brauchte nur zu warten, bis die Lichter im Haus ausgingen, seine Pflicht zu tun und abzuhauen. Noch heute Nacht könnte er mit seinem Mietwagen auf einer Fähre den Ärmelkanal überqueren und morgen Abend könnte er in den Armen Laras und des Herrn schlafen.
Aber nein. Wie Hiob, musste auch seine Geduld weiter auf
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