Nur dieser eine Sommer
Brutstätten riesige Entfernungen zurück. Zwar existieren zahlreiche Theorien, doch keine vermag zweifelsfrei zu erklären, woran die Schildkröten sich bei ihrer Reise orientieren.
14. KAPITEL
B egleitet von einem Höllenspektakel aus Gehämmer, Geschrei und kreischenden Sägen, schafften Brett und sein Mini-Bautrupp es tatsächlich, die Veranda mitsamt Pergola bis Ende Juni fertig zu stellen, indem sie die Arbeiten irgendwie zwischen bestehende Verpflichtungen quetschten und an den betreffenden Tagen rund um die Uhr werkelten. Zudem heuerte Cara eine Malerkolonne zur Verstärkung an, die sich nicht nur die Pergola vornahm, sondern gleich dem ganzen Strandhaus einen neuen Anstrich verpasste. Je mehr die Neugestaltung des Häuschens Gestalt annahm, desto rasanter stieg die Stimmung aller Beteiligten. Lovie ließ sich zu dem Ausspruch hinreißen, der liebe Gott habe sich das verstaubte Haus geschnappt, einmal gut durchgeschüttelt, es dann wieder hingestellt und säuberlich glatt gestrichen.
Niemand war begeisterter als Lovie, die sich ganz in ihrem Element fühlte. Gleichzeitig jedoch haderte sie mit dem Schicksal, wie sie sich schmerzlich eingestand. Einerseits war es natürlich aufregend, den Beginn der Reparaturarbeiten zu erleben, andererseits empfand sie es als zutiefst deprimierend, mit der Angst zu leben, das Ende ihrer Tage vielleicht dahinsiechend in einem Sessel vor dem Fernseher verbringen zu müssen. Den Zugriff auf ihre Finanzen hatte sie sich zwar ohne großes Bedauern von ihrem Mann und später vom Sohn aus der Hand nehmen lassen, Haus und Garten hingegen waren stets ihre Domäne gewesen. Nun kam es ihr so vor, als seien sie beide, ihr Cottage und sie selbst, dahingerafft worden – das eine vom Wirbelsturm, die andere vom Krebs.
Zu Beginn der Bauarbeiten hatte sie sich bewusst zurückgehalten. Ein paar Monate zuvor wäre es Cara wohl nicht einmal sonderlich aufgefallen, dass ihre Mutter im Schaukelstuhl saß und gleichsam vom Spielfeldrand aus zuschaute. Jetzt allerdings bemerkte Cara es, und sie bezog Lovie mit aller Macht in die Entscheidungen mit ein, ließ nicht locker, bis Lovie bestimmen konnte, wie der gelbe Farbton des Anstrichs ursprünglich ausgesehen hatte, bis sie sich wieder erinnerte, wo vor Wirbelsturm Hugo die alten Palmen gestanden hatten, bis sie festlegte, wo neue gepflanzt werden sollten. Cara schaute mit ihr zahllose Kataloge durch und ließ Lovie von Toy zu den Baumschulen chauffieren, um Anzahl und Art der Kletterrosen auszuwählen, die denen am meisten ähnelten, die einst die Pergola so prächtig berankt hatten. In erster Linie aber vermittelte Cara ihr das Gefühl, dass Primrose Cottage Olivia Rutledge gehörte, jetzt und in Zukunft.
Und Caras Plan ging auf. Lovie lebte auf wie seit langem nicht mehr. Wenn sie das Anpflanzen der sieben neuen Palmen, die an verschiedenen Stellen des Grundstücks stehen sollten, überwachte, dann fühlte sie sich wie an jenem Tag, an dem sie dieses kleine Haus am Strand gekauft hatte. Damals hatte es hier nur wenige Strandhäuser gegeben, dafür indes noch zahlreiche Bäume. Zwar übernahm Cara die körperlich anstrengenderen Arbeiten wie Bodenaushub und -verbesserung, doch Lovie setzte die leuchtend roten Kletterrosen, die einmal die Rundbögen der Pergola zieren sollten, höchstpersönlich in die Erde ein.
Während der dreiwöchigen Bauarbeiten sprach Lovie jeden Tag nach dem Aufwachen ein Dankgebet. Endlich kam der Morgen, an dem die Handwerker ausblieben, die Hämmer ruhten, die Sägen verstummt waren, der Morgen, an dem friedliche Stille herrschte. Lovie stand allein im Garten, atmete tief die süß duftende Luft ein und bewunderte das vollendete Werk. Durch das Fenster konnte sie verfolgen, wie Toy drinnen herumwuselte, dabei summend von Zimmer zu Zimmer tanzte, wie sie aufräumte und dann ein warmes Frühstück zubereitete. Jenseits der Straße spazierte Cara über den Strand. Sie trug ihr grünes „Turtle Team“-T-Shirt und hatte den roten Eimer in der Hand. So marschierte sie selbstbewusst einher, die geborene Führungspersönlichkeit, wie Lovie fand.
Lovie holte Luft wie jemand, der nach einer langen Etappe nun die Fackel weiterreicht. Alt zu sein ist doch nicht so übel, dachte sie. Man muss nicht ständig irgendwohin und irgendetwas erledigen. Es war angenehm, einfach nur dazustehen, den Anblick der blühenden Wildblumen zu genießen, vielleicht zu überlegen, wo neue Stauden gepflanzt werden konnten. Und sich am Anblick
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