Nur dieser eine Sommer
lachte leicht auf. „Vermutlich würde ein Naturforscher eine Babyschildkröte nicht als
niedlich
bezeichnen.“
„Er würde sie auch nicht
Babyschildkröte
nennen. Allerdings finde ich, beide Wörter treffen den Sachverhalt ziemlich genau.“
Dass er niemals besserwisserisch auftrat, rechnete sie ihm hoch an. „Ich musste gerade an die Nacht denken, in der Mama und ich Zeuge wurden, wie eine Schildkröte ihr Gelege absetzte. Weil Vollmond war, bekamen wir alles genau mit. Ein gewaltiges Tier, so eine Schildkröte! Kaum zu glauben, dass sich die kleinen Biester von vorhin auch mal zu solche Riesenviechern entwickeln.“
„Wenn sie überleben. Nur eine von tausend schafft es.“
„So wenige nur? Eigentlich schade.“
„So ist die Natur.“
„Mag schon sein.“ Cara schlang die Arme um ihren Körper. „Zuweilen hat man den Eindruck, dass die Natur ziemlich grausam sein kann.“
Sie wussten beide, dass sie damit auf die Krankheit ihrer Mutter anspielte. Es gab nicht mehr viel dazu zu sagen, und sie wollten auch nicht länger darüber reden. Eine Weile starrten sie aufs Meer hinaus. Die Flut lief auf, und die herrlich warmen Wellen umspülten bereits Caras und Bretts Zehen.
„Spaziergang gefällig?“ erkundigte er sich.
Cara schaute kurz zum etwas weiter oben am Strand liegenden Nest hinauf. Julia, Miranda und die Kinder waren bereits gegangen. Wenn man genau hinsah, konnte man in Umrissen Lovie und Flo erkennen, die offenbar gerade aufbrachen. Die Nacht war mild, feucht und einladend, und im Grunde hatte Cara noch keine Lust, nach Hause zurückzukehren. Nur … irgendwie war Brett ein Buch mit sieben Siegeln. Als sie sich anfangs auf diese unerklärliche Weise zu ihm hingezogen gefühlt hatte, da war sie davon überzeugt gewesen, dass alles nach dem üblichen Schema ablaufen würde: flüchtiger Sex, ein schnelles Lebewohl. Doch so war es nicht gekommen. Immer, wenn sie zu wissen glaubte, woran sie mit ihm war, hatte er etwas Überraschendes gesagt oder getan, was ihn nur umso faszinierender werden ließ. Und da war noch etwas: Nie hatte sie einen Mann gekannt, der mit ein paar Metern Schnur und einem Haken eine komplette Mahlzeit herbeizaubern konnte.
„Einverstanden“, sagte sie.
Er ergriff ihre Hand, und zu zweit schlenderten sie an der Brandung entlang, wobei Cara sich nach und nach seinem Tempo anpasste. Die Lichterketten weit hinten am Landungssteg schienen durch die samtschwarze Finsternis.
All das wirkte auf beinahe schmalzige Weise romantisch, ganz wie eine jener Kitschpostkarten mit einem Liebespaar, das verträumt am Strand entlangspaziert. Mit einer Einschränkung natürlich, wie Cara gleich einfiel: Sie und Brett waren kein Liebespaar. Sie bedauerte es, denn die Stille hatte etwas Erotisches. Cara spürte überdeutlich den Druck seiner Hand. Ihr kam es so vor, als wäre ihre gesamter Körper in Alarmbereitschaft versetzt. Berührten sich ihre Hüften, lief Cara ein Schauer den Rücken hinunter. Jeder Windhauch war wie eine Zärtlichkeit.
„Gehst du nachts öfters hier draußen spazieren?“ erkundigte sie sich – eine dumme Frage, wie sie gleich darauf fand. „Aber sicher tust du das. Du wohnst ja schließlich hier!“
„Genau deswegen tu ich’s eher selten! Wahrscheinlich betrachte ich das Meer als Selbstverständlichkeit. Schau mal da rüber“, sagte er und zeigte auf eine Häuserzeile oberhalb des Strandes. Selbst zu dieser nachtschlafenen Zeit brannte in einigen noch Licht. „Siehst du diesen flackernden bläulichen Schein? Da hocken sie noch vor der Glotze! Ich bin wohl nicht der Einzige, der die See als selbstverständlich hinnimmt.“
„Meine Eigentumswohnung liegt direkt am Michigansee. Ich gebe zu, ich stehe auch nur noch selten am Fenster und gucke mir den See an. Ich weiß und spüre aber, dass er da ist. Hin und wieder betrachte ich ihn und nehme ihn bewusst zur Kenntnis, und dann bin ich immer ganz überrascht von dem wunderbaren Anblick. Es ist wie ein Geschenk, und dann kommt er mir nicht mehr selbstverständlich vor. In diesem Moment verschönert er mein Leben. Vielleicht geht es den Leuten drüben in den Häusern ähnlich.“
„Vermisst du Chicago?“
Die Antwort fiel ihr nicht leicht. Seit einiger Zeit schon, seit dem letzten Gespräch mit der Jobvermittlerin, hatte sie nicht mehr an Chicago gedacht. Es war, als habe sie für sich dieses Kapitel ihres Lebens abgeschlossen und hier auf der Insel ein neues aufgeschlagen.
„Im Grunde nicht“, erwiderte
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