Nur dieser eine Sommer
aussprechen, um Toy nicht zu verschrecken. Das Mädchen hat sich anscheinend in den Kopf gesetzt, ich würde ewig leben, dachte sie.
„Haben Sie in letzter Zeit irgendwelche Sorgen?“ Dr. Pittman blickte vom Krankenblatt auf und musterte Lovie aus dunklen Augen. „Oder besondere Schmerzen?“
Und ob ich Sorgen habe, hätte Lovie ihm gern erwidert. Der Arzt wusste doch genau, dass keine Aussicht auf Genesung bestand! Außerdem machte er den Eindruck, als habe er jegliches Interesse an dem Fall verloren und wolle ihn möglichst rasch zu den Akten legen. „Mit den verordneten Schmerzmitteln sind sie einigermaßen erträglich“, antwortete sie jedoch.
„Sie melden sich, sobald die Tabletten nicht mehr anschlagen, okay?“ Dr. Pittman guckte Toy an, als erwarte er eine Bestätigung, worauf das Mädchen folgsam nickte. Er klappte das Krankenblatt zu, ließ die Hand auf der geschlossenen Akte ruhen und schüttelte den Kopf mit dem schütter werdenden Haar. „Dann war’s das für heute. Ich verhehle nicht, Mrs. Rutledge, dass ich mit Ihrem Entschluss, die Behandlung einzustellen, nicht einverstanden bin. Es wäre mir lieber, Sie würden sie den Sommer hindurch fortsetzen.“
Lovie schloss die Augen und seufzte.
„Was? Sie hören mit der Therapie auf?“ Toys Augen weiteten sich vor Schreck.
„Ja“, gestand Lovie, um sich dann nochmals an den Arzt zu wenden. „Falls ich Ihrer Empfehlung folge und den Sommer über herkomme – besteht dann Aussicht auf Heilung?“
„Nein“, entgegnete er vorsichtig. „Endgültige Heilung war von der Strahlentherapie nie zu erwarten. Aber darüber haben wir doch gesprochen, Mrs. Rutledge, nicht wahr?“ Dass seine Patientin das anders verstanden haben könnte, beunruhigte ihn offenbar.
„Ja, das haben wir“, bestätigte Lovie gefasst. „Das ist mir vollkommen klar. Und mir ist auch bewusst, dass Sie mir nicht viel mehr Zeit als bis zum Ende des Sommers geben. Oder?“
Dr. Pittman war taktvoll genug, um auf die Frage nur mit einem Lächeln zu reagieren.
Lovie merkte, wie Toy ihr nervös die Hand drückte.
„Also, Doktor, was denken Sie? Wenn Sie den letzten Sommer Ihres Lebens vor sich hätten, würden Sie ihn dann mit Strahlenbehandlungen verbringen wollen?“
„Gut möglich. Wenn ich’s dadurch bis in den Herbst hinein schaffen würde.“
Lovie zuckte kaum merklich mit den Schultern. „Mir reicht der Sommer. Wenn’s ein guter ist.“
Das mochte Toy offensichtlich nicht unwidersprochen hinnehmen. „Aber Miss Lovie! Warum sagen Sie so was? Sie können die Krankheit besiegen!“
Lovie wusste, dass Toy, einmal in Fahrt geraten, nur schwer zu bremsen war. „Schon gut, Liebes! Ich habe meine Entscheidung gefällt.“ Und etwas leiser fügte sie hinzu: „Für Wunschdenken ist die Zeit zu kostbar. Ich möchte jede Minute genießen, die der liebe Herrgott mir noch schenkt. Und das geht nicht, wenn ich mich erschöpft und unwohl fühle. Wozu soll ich die wenigen Stunden, die mir noch bleiben, mit Warten auf den Tod verbringen? Solange noch Leben in mir ist, werde ich das nicht tun. Doktor, es bleibt dabei. Schluss mit der Therapie.“
Toy kämpfte mit den Tränen und schwieg.
Dr. Pittman nickte verständnisvoll. „Na schön“, meinte er und zog einen Verschreibungsblock aus der Kitteltasche. „Auch wenn wir uns hier in der Klinik nicht mehr treffen sollten, Mrs. Rutledge, so möchte ich doch über alles Weitere auf dem Laufenden bleiben. Ich werde mich an Ihren Hausarzt halten und mich von ihm über Veränderungen im Krankheitsverlauf informieren lassen. Doch zunächst müssten Sie mit Ihren Angehörigen die unmittelbaren Umstände besprechen, die sich von nun an für Ihre Pflege und Betreuung ergeben. Wir wollen zwar hoffen, dass die letzte Behandlungsreihe ein weiteres Ausbreiten des Krebses hinauszögert, können allerdings nicht sagen, in welchem Zeitrahmen sich das bewegen wird. Es wird der Tag kommen, an dem Miss Sooner mit Ihrer Pflege überfordert ist. Möglich, dass Sie auf einen mobilen Pflegedienst zurückgreifen möchten. Vielleicht sollten Sie auch ein Pflegeheim in Erwägung ziehen.“
„Nichts da!“ fuhr Toy dazwischen. „Miss Lovie muss nirgendwohin! Ich bleibe bei ihr.“
Dr. Pittman musterte sie wohlwollend. „Wann wird Ihr Baby voraussichtlich das Licht der Welt erblicken?“
„Im September.“
„Sie sehen doch sicher ein, dass Mrs. Rutledge exakt in dem Zeitraum Hilfe am dringendsten braucht? Krankenpflege kann zu einer extremen
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