Nur ein Augenblick des Gluecks Roman
Sie war unglaublich fett und stieß ein tiefes, grollendes Lachen aus. »Süßer, Sie sehen ja aus, als würden Sie sich gleich in die Hose machen.« Sie tippte auf Roberts Ehering.
»Entspannen Sie sich. Sie sind nicht der erste verheiratete Mann, der sich mit einem ›leeren‹ Wagen herschleicht und ein bisschen ungestört sein möchte. Normalerweise bedeutet das, dass auf dem Rücksitz ein kleines Persönchen kauert, von dem die Ehefrau und die Familie nichts wissen sollen.« Sie nahm das Registrierungsformular und grinste: »Hab’ ich recht, Mr.Thomas , oder hab’ ich recht?«
Roberts Mund war wie ausgetrocknet. Er brauchte einen Moment, bevor er wieder sprechen konnte. »Ja. Ich denke, man könnte sagen, es handelt sich um etwas in der Art.«
Hütte Nummer 16 lag gleich am Flussufer. Sie war feucht und an einer Seite leicht abgesackt. Die Fensterscheiben waren von einer Schmutzschicht bedeckt, und den Boden zierte ein Brandfleck, wo die dreieckige Platte eines heißen Bügeleisens sich auf einem verschlissenen Teppich verewigt hatte. Robert allerdings konzentrierte seine Aufmerksamkeit sofort und ausschließlich auf den Kamin. Seinetwegen war er gekommen.
Es gab keine Kaminschaufel, dafür aber eine leere Suppendose, die jemand auf einem Regal in der schäbigen Kochzeile zurückgelassen hatte. Robert machte sich unverzüglich an die Arbeit. Es war kalt in der Hütte, und so zog er den Mantel erst gar nicht aus. Er öffnete die bronzefarbene Urne und stellte sie neben sich auf den Boden. Dann begann er, mit der Suppendose Asche aus dem Kamin in die Urne zu füllen.
Die Asche roch abgestanden und kalt. Ihr Anblick und ihre merkwürdig zarte Konsistenz verursachten ihm Übelkeit.
Er stieß ein zittriges Stöhnen aus. Ein wortloses Flehen. Eine primitive Bitte um Vergebung.
Als er die Urne gefüllt hatte, schloss er ihren Deckel und stand auf, um durch die Tür nach draußen zu treten. Mitten in der Bewegung hielt er dann jedoch inne, plötzlich unsicher, ob seine Arbeit bereits getan war. Er bewegte die Urne aus seiner rechten Hand in die linke und prüfte ihr Gewicht. Dabei versuchte er sich daran zu erinnern, wie sich der Zylinder angefühlt hatte, den er in dem Bestattungsinstitut aus dem Regal genommen hatte und der tatsächlich die Asche eines verbrannten Menschen enthalten hatte. Es schien ihm, als wäre er schwerer gewesen als das Gefäß, das er nun in der Hand hielt. Sein Hirn begann zu rattern, denn es gab eine Menge Variablen, mit denen man rechnen musste; zum Beispiel die Möglichkeit, dass der Zylinder mehr gewogen hatte, weil er die Asche eines Erwachsenen enthalten hatte und nicht die Überreste eines Kleinkindes. Instinktiv wollte er gehen, sich wieder in seinen Mietwagen setzen und so schnell wie möglich zum Flughafen zurückfahren. Doch eine Furcht hielt ihn fest im Griff, eine Furcht, die bereits an Panik grenzte; er konnte nicht riskieren, dass die Urne ihn verriet, wenn er nach Hause kam.
Robert befand sich schon im Laufschritt, als er die Urne auf den Boden stellte und sich die Suppendose schnappte. Er lief zu einem großen Baum in Ufernähe, um den sich ein weiter Kreis sandiger Erde ausbreitete.
Später, auf seiner Fahrt vorbei am Büro des Motels und hinaus auf den Highway, sah er, wie die fette Frau an ihrem Schreibtisch die »Zimmer frei«-Leuchtreklame einschaltete. Er stellte sich vor, wie sie nach einem Set frischer Bettwäsche griff und den unbefestigten Weg hinunter zu Hütte
16 schlurfte; er wusste, was sie entdecken würde, wenn sie dort ankam. Mitten im Raum waren Asche aus dem Kamin und Sand vom Flussufer auf den Boden geschüttet worden, durch die sich die Spuren von Fingerspitzen zogen. Und gleich an der Tür befand sich eine Lache von frischem Erbrochenen.
Nachdem Robert das Motel hinter sich gelassen hatte, war er zum Flughafen gefahren und an Bord einer Maschine nach Kalifornien gegangen. Die Flugzeit hatte er genutzt, seine Geschichte über den Campingausflug in Nevada und Justins Tod noch einmal durchzugehen. Die Geschichte, die er gestern am Telefon erzählt hatte, als er Caroline die schlechte Nachricht überbracht hatte - dieselbe Geschichte, die er seinen Eltern erzählt hatte, als er sie zu Hause in Arizona angerufen hatte.
Nach der Landung war Robert auf dem schnellsten Weg zur Lima Street gefahren. Mit dem Koffer in der Hand stand er lange draußen vor der Haustür. Obwohl der Koffer kaum etwas enthielt - etwas Unterwäsche, ein oder zwei Hemden,
Weitere Kostenlose Bücher