Nur ein Blick von dir
mir. Er war nicht da, und ich konnte nicht herausbekommen, warum. Eigentlich konnte ihn doch nichts gegen seinen Willen festhalten, und er schien doch in der Lage zu sein, mich zu hören, egal, wo er auch war. Und er konnte rennen, viel schneller als ein normaler Mensch. Warum kam er dann nicht zu mir? Je mehr ich darüber nachdachte, desto öfter kreisten meine Gedanken zu der bohrenden Angst zurück: Hatte etwa das, was ich mit meinem Amulett getan hatte, um Lucas aufzuhalten, nicht nur den getroffen? Wenn die Energie, die ich erzeugt hatte, sie nun alle als funkelnde Bäche in den nächsten Gulli fließen lassen würde? Ich warf einen Blick auf den so harmlos wirkenden Armreif. Irgendetwas hatte sich verändert. Ich konnte die Kraft, die darin steckte, geradezu spüren. Je mehr ich darüber nachdachte, desto elender fühlte ich mich. Was hatte ich bloß getan?
Die Tür ging auf, und eine Krankenschwester kam herein.
»Sind Sie die Begleitung von Robert Underwood?«, fragte sie freundlich. Ich nickte niedergeschlagen. »Familie oder Freundin? Wir brauchen die nächsten Angehörigen.«
»Ich bin nur eine Freundin. Ich hab mein Telefon verloren und hab jetzt nicht mal seine Handynummer«, schniefte ich ihr undeutlich vor, ehe ich mich zusammennahm. Seine Eltern mussten herkommen. »Können Sie auf seinem Handy nach der Nummer seiner Eltern schauen? Die hat er bestimmt gespeichert.«
Die Schwester blickte mich mitfühlend an und drückte mir den Arm. »Das werden wir gleich machen. Ich wollte mich nur vergewissern, dass Sie nicht zur Familie gehören, bevor wir das machen. Ist das seine Brieftasche?« Sie zeigte auf Robs Sachen, die ich aus dem Krankenwagen mit reingebracht hatte. Ich nickte kurz, und sie nahm das Handy. »Sie bleiben hier, und ich sage Ihnen Bescheid, wenn er wieder zu sich gekommen ist.«
Ihre Schuhe quietschten auf dem Boden, als sie wieder ging und die Tür sorgfältig hinter sich zumachte.
Erschöpft ließ ich mich auf meinen Stuhl sacken und fragte mich, was in aller Welt ich seinen Eltern erzählen sollte, wenn sie auftauchten. Hatten sie die Dateien auf seinem Computer gesehen? Hatte er ihnen gesagt, was er machen wollte? Ich fand das zwar selbst ziemlich unwahrscheinlich, war mir aber nicht ganz sicher. Meine Probleme mochten noch lange nicht vorbei sein, doch sie waren nichts im Vergleich zu denen von Rob. Seufzend blickte ich auf die Aktentasche vor mir. Tatsächlich war sie eigentlich mehr eine Laptoptasche.
Ich setzte mich kerzengerade hin, erschrocken über das, was ich gerade gedacht hatte. Doch ich wusste plötzlich, was ich zu tun hatte. Ich holte einmal tief Luft, zog die Tasche zu mir heran und machte den Reißverschluss auf. In der Tasche war Robs Laptop, und auf ihm mussten sich die Kopien meiner Speicherkarte befinden, die Ashley gesehen hatte. Mein Herz raste, als ich den Laptop herausnahm und einschaltete. Schnell sah ich die eigenen Dateien durch, entdeckte die Videos und seufzte gewaltig vor Erleichterung, nachdem ich das gesamte Verzeichnis gelöscht hatte. So schnell es ging, fuhr ich den Computer wieder runter und schob ihn zurück in die Tasche. Alle Beweise für die Existenz der Versunkenen waren vernichtet.
Plötzlich fühlte ich mich wie ausgelaugt, stand auf und stakste steif zu dem kleinen Wasserspender in der Ecke, wobei ich mir den verletzten Arm hielt. Das Wasser war eisig, und für eine Sekunde hielt ich mir den Plastikbecher an die Stirn, bevor ich alles in einem Zug runterstürzte. Ich konnte spüren, wie das kalte Wasser in meinen leeren Magen stürzte, und zitterte kurz, während ich den Becher wieder füllte.
»Alex?« Die Stimme klang zögernd, war aber voller Freude. »Geht es dir gut?«
Vor Schreck fiel mir der Becher aus der Hand. »Callum? Bist du es wirklich? Bist du hier?«
»Ich bin hier, genau hier. Und dir geht es gut, ich kann es kaum glauben!«
Mir blieb fast die Stimme weg, so schnell kamen mir die Tränen, doch diesmal waren es Tränen der Erleichterung, der Freude, der Entspannung. »Ja, mir geht es gut, einfach gut.« Ich schnappte mir ein Papiertuch vom Tisch und putzte mir lautstark die Nase. »Tut mir leid. Ich kann’s nicht glauben, dass du zurück bist. »Was war denn los?«
»Ich bin sicher, dass das der schlimmste – der absolut schlimmste Tag – in meinen beiden Leben war«, sagte er mit Nachdruck.
»Ich muss dich sehen. Ich setz mich erst mal hin.« Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass er es tatsächlich
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