Nur ein Blick von dir
sehr niedrig war. Trotzdem war es immer noch gefährlich, und es klang so, als wäre das Rettungsboot in allerletzter Minute eingetroffen. Ich überflog gerade einen anderen Bericht, als sich das Prickeln wieder in meinem Arm meldete.
»Na, du Schöne! Tut mir leid wegen vorhin. Ich hab dich wirklich nicht so anschnauzen wollen. Kannst du mir verzeihen?« Ich spürte Callums hauchzarte Berührung am Hals und konnte im Spiegel sehen, wie er mir unter seinen langen Wimpern hervor einen Blick zuwarf, während er an meiner Schulter schnüffelte.
»Hallo«, flüsterte ich. »Alles vergeben. Aber Mum und Dad sind noch in ihrem Zimmer, und ich muss leise sein. Hier, lies das mal.« Ich stellte den Bildschirm weiter zurück, damit er besser sehen konnte. Dann sah ich, wie er immer mehr die Stirn runzelte. Schließlich setzte er sich wieder aufrecht hin und schaute mich an.
»Interessant … Sie hat eindeutig auch noch ein paar eigene Erinnerungen, sonst wüsste sie ihren eigenen Namen nicht, sondern nur deinen. Ich frage mich, wie wir das nutzen können.«
»Also ich weiß, dass es da erst einmal die unbedeutende Kleinigkeit gibt, überhaupt an die Erinnerungen zu kommen. Wenn wir das geschafft haben, wissen wir zumindest, was das Amulett mit einem macht. Klingt, als wäre das auch ein kleines bisschen gefährlich.«
»Ja, das wäre doch grotesk, oder? Da überwindest du alle Schwierigkeiten und findest ins Leben zurück, und prompt ertrinkst du, bevor dich irgendjemand retten kann.« Er seufzte, und dann lächelte er. »Ich bin aber doch erleichtert, dass Catherine das Ganze hier mit dir veranstaltet und nicht irgendein x-beliebiger Stalker.«
»Ich weiß – ich bin es auch! Ich freue mich fast schon darauf, sie wiederzusehen.«
»Ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde«, murmelte er, als seine Lippen meine Hand gefunden hatten. »Sie ist immer noch ein richtiges Miststück.«
Ich fand es zunehmend schwieriger, mich zu konzentrieren, als er nacheinander alle meine Finger küsste. Im Spiegel konnte ich seine weichen Lippen sehen und sehnte mich wieder danach, sie richtig zu berühren. »Ist es sicher genug, um heute wieder zur
St. Paul’s
zu gehen?«, fragte ich hoffnungsvoll. Ich war so enttäuscht gewesen, dass es gestern nicht geklappt hatte. So gerne hätte ich wieder seine Arme um mich gespürt.
Callum schürzte die Lippen und überlegte seine Antwort. Ich konnte die goldenen Flecken tief in seinen Augen aufblitzen sehen. »Ich halte das für keine besonders gute Idee, nicht nach dem ganzen Ärger gestern.«
Ich seufzte, wusste aber natürlich, dass er recht hatte. Ich wollte Lucas nie wieder begegnen. Allein die Erinnerung daran, wie kurz davor ich war, das Amulett abzunehmen, ließ mich schon zittern. »Lucas scheint besonders bösartig zu sein.«
»Er ist der Einzige von uns, der etwas über sein vergangenes Leben weiß, und ich glaube, dass ihm das alles nur noch schwerer macht.«
»Echt?«, fragte ich fasziniert. »Was weiß er denn?«
»Er hat ein Tattoo auf dem Arm. Einen Namen, Emily. Also weiß er, dass ihm irgendwann irgendwo irgendjemand etwas bedeutet hat.«
»Oh, das muss hart sein.«
»Na, wir hätten mehr Mitgefühl, wenn er einen etwas freundlicheren Charakter hätte, aber ehrlich gesagt, er ist ein totales Ekelpaket.«
»Wie lange ist er schon da bei euch?«
»Er war schon da, bevor Catherine und ich aufgetaucht sind. Er konzentriert seine ganze freie Energie darauf, die Leute auszutricksen. Als wäre es sein Lebenszweck, alles noch elender zu machen, als es schon ist. Ich meine, wir haben nicht gerade Freunde dort drüben, so ist das Leben nicht für uns, aber niemand von uns würde jemals überlegen, Zeit mit Lucas zu verbringen.« Er schwieg einen Moment. »Aber er ist der Einzige, der überhaupt etwas weiß …«
»Du weißt doch von Catherine, dass sie deine Schwester ist. Zählt das nicht?«
»Ich denke, das zählt tatsächlich nicht, weil wir beide da sind. Wir sind zur selben Zeit im Fluss ertrunken, erinnern uns aber an nichts sonst. Lucas hat einen Beweis, dass es jemanden für ihn gegeben hat. Dass es eine Frau oder eine Freundin gegeben hat, die ihm wichtig war. Vielleicht ist er deshalb so eklig, weil er weiß, was er verloren hat.«
Ich musste an diese grausamen Augen denken und zögerte. »Vielleicht. Oder er ist einfach ein schrecklicher Kerl.« Ich zwang mich zu einem Lächeln und berührte Callums Gesicht. »Ist schon verdammt gut, dass ich dich habe,
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