Nur ein Katzensprung
gekommen war, okay. Dass sie mit Kim das Video gucken wollte. Wichtig war vielleicht, dass Kim Emma ernst genommen hatte, sie hatte sich für die Preisverleihung und alles, was damit zusammenhing, interessiert. Demnach gab es keinen Grund für Emma, sich zu verstecken oder wegzulaufen. Sie hatte Eltern, die sie vergötterten, und in Kim zumindest eine Freundin, die sie mochte.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
Holzminden
Mittwoch, 2. November 2011
gegen 16.00 Uhr
25
Guntram Schnitter platzte in ihr Büro wie ein Furz in eine Opernarie. Kofi fiel fast vom Stuhl, und Stefan Ollner verschüttete seinen Kaffee.
„Geht’s noch?“
Schnitter rang nach Luft. „Wir müssen raus. Kruse wurde angegriffen.“
„Heribert Kruse?“, fragte Kofi. „Mit dem habe ich gestern noch gesprochen.“
„Deswegen hat seine Frau ausdrücklich nach dir verlangt.“
„Was ist denn passiert?“
„Das wollte sie nicht genauer sagen. Aber sie klang gehetzt und den Tränen nah, hat immer nur wiederholt. Sie hätten ihn überfallen, er könnte tot sein.“
„Und sie will mich sehen?“ Kofi verdrehte die Augen. „Wahrscheinlich macht sie mich dafür verantwortlich und will mir den Hals umdrehen.“
Ollner stand auf. „Dann komme ich besser mit.“
Zu dritt fuhren sie zum Haus der Kruses. Ella Kruse öffnete ihnen die Tür, bevor sie klingeln konnten. Ihre Augen erdolchten Kofi fast. Sie packte seinen Oberarm, zog ihn herein, schob ihn an sich vorbei, bis er mit dem Gesicht vor der Küchentür stand. Dann öffnete sie die Tür und stieß ihm leicht in den Rücken, so dass er über die Schwelle stolperte.
Heribert Kruse saß auf der Küchenbank. Das Haar zerzaust, eine blutige Schramme an der Stirn. Vor sich auf dem Tisch lag Packpapier. Ein zerknautschter Karton war auf den Boden gefallen. Vorsichtig bewegte Kruse seine rechte Hand über das Papier, hob etwas auf, legte es an eine andere Stelle. Dann bedeckte er die Augen mit der Hand und wimmerte wie ein hungriges Kleinkind. Kofi ging näher zum Tisch. Eine Lok, er glaubte, in den Trümmern eine Lok zu erkennen.
„Das ist eine R700 LMS.2 von Märklin in Weinrot- Gold, es gibt nur noch ganz wenige Exemplare, sie wurde von 1935 bis 1938 extra für den Export nach Großbritannien gebaut. Heribert hat eine aufgetrieben, bei einem tschechischen Sammler. 4550 Euro hat er dafür bezahlt. Jetzt ist sie kaputt.“ Frau Kruse stand dicht neben Kofi, berührte ihn fast. Er konnte ihr Parfüm riechen.
Heribert Kruse weinte nun bitterlich. Dicke Tränen tropften auf das Packpapier. Ella reichte ihm ein Taschentuch.
„Wie ist das passiert? Wer war das?“, fragte Kofi.
„Keine Ahnung. Mein Mann hat etwas von einer roten Armbinde gefaselt. Sie müssen zu dritt gewesen sein, so viel habe ich verstanden.“ Sie seufzte. „Er ist mit dem Fahrrad zur Post gefahren. Das Päckchen sollte per Nachnahme postlagernd kommen. Wir haben ein Girokonto bei der Post, so dass er alles von dort aus erledigen konnte. Auf dem Rückweg haben sie ihn angehalten. Ob sie ihn mit dem Fahrrad umgeworfen haben oder ob sie ihn vom Rad gezogen und dann geschlagen haben, konnte ich nicht herausfinden.“
„Das Fahrrad steht draußen?“, fragte Stefan Ollner.
„Er hatte es liegen lassen, hat sich nur aufgerappelt und ist hierher gelaufen.“ Ihre Stimme zitterte. „Seine Hose ist zerrissen, er hat sich die Stirn, die Hände und die Knie aufgeschlagen.“
Ollner gab Kofi ein Zeichen, dass er nach dem Fahrrad sehen würde.
„Sie sind auf dem Paket herumgetrampelt, das macht man nicht“, sagte Herr Kruse laut und deutlich. „Das macht man nicht, unerhört.“ Dann versuchte er wieder, die Einzelteile zusammenzufügen.
„Er hielt das Päckchen in der Hand, völlig aufgelöst. Vor Aufregung konnte er gar nicht richtig sprechen.“
„Sie sollten Ihren Hausarzt informieren.“
Ella lachte rau auf. „Meinen Sie, der kommt zu so einem?“
Kofi war froh, dass Stefan in dieser Sekunde wieder hereinkam. „Das Fahrrad sieht übel aus. Wir nehmen eine Anzeige auf wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung.“
„Wozu soll das gut sein?“, fragte Frau Kruse.
Ollner sah sie verständnislos an. „Ihr Mann wurde überfallen, Frau Kruse. Wir müssen Anzeige erstatten.“
„Gegen wen?“
„Erst einmal gegen Unbekannt. Vielleicht erinnert Ihr Mann sich später an seine Angreifer, kann uns beschreiben, was sie trugen, wie sie aussahen.“
„Herr Kommissar,
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