Nur ein Katzensprung
Gläschen abgefüllt. Kim hat auf alle Etiketten ein Tier gemalt. Kein Grafiker hätte das besser hinbekommen.“
„Sie hat etwas von einem Schwarzen erzählt.“
„Das war dieser Kommissar. Seinetwegen habe ich dich angerufen.“
„Ein schwarzer Kommissar?“
„Hast du noch nicht von ihm gehört? Er ist recht bekannt in Holzminden. Ich glaube, er ist als Kleinkind aus Togo gekommen und musste immer als Musterbeispiel für gelungene Integration herhalten.“
„Togo? Was du alles weißt.“
„Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht.“
„Quasi. Abgesehen von den zweieinhalb Jahren Studium in Göttingen.“
„Abgesehen von Göttingen, ja. Jedenfalls war dieser Kofi Kayi drei Jahre unter mir am Campe. Französisch und Sport.“
„Du warst in ihn verknallt.“
„Quatsch, der war viel jünger als ich.“
„Drei Jahre.“
„Nee, nur zwei. Eines hat er auf der Flucht verloren, er wurde erst mit sieben eingeschult.“
Die beiden Frauen befanden sich noch im Flur. Jetzt schob Irene die Freundin ins Wohnzimmer. „Setz dich, ich hole uns einen Tee.“
Anna stand vor dem Bücherregal und blätterte in einem Buch über weiße Bären in Kanada. „Wo hast du das her?“
„Ein Geschenk.“
„Von Leon?“
„Nein, von meiner Mutter.“
Anna zog die Augenbrauen hoch. „Wieso das denn?“
„Sie träumt von einer Reise nach Vancouver und will mich überreden, sie zu begleiten.“
„Cool! Fährst du?“
„Bin ich Krösus? Noch dazu, wo jetzt …, das mit Leon. Keiner weiß, wie es mit @dospasos weitergehen soll.“
„Haben Sie dich entlassen?“
„Noch nicht.“ Gedankenverloren rührte Irene in ihrem Tee. Die Kandiszuckerstückchen klimperten leise.
„Stella?“
„Sie war in seiner Wohnung.“
„Was soll mir das sagen?“
Wieder senkte Irene den Blick auf das Teeglas. „Ich war noch nie bei ihm zuhause, naja, fast nie.“ Es war ihr ein bisschen peinlich, dass sie sich heimlich bei ihm eingeschlichen hatte, dass sie sein Vertrauen missbraucht und den Schlüssel genommen hatte, um hinter ihm her zu spionieren.
„Fast nie?“
In kurzen Worten erzählte Irene Anna von ihrem Kontrollbesuch und dass sie Stellas Halstuch im Schlafzimmer gefunden hatte.
„Du bist fast ein Jahr mit dem Typen zusammen und hast ihn noch nie zu Hause besucht? Verstehe ich das richtig? Mannomann, hat der Kerl ’ne Klatsche.“
„Du tust ihm Unrecht“, sagte Irene. Ihr Tonfall ergänzte: wie immer.
„Sag nicht, er hatte Angst, Kim würde seine schneeweißen Berberteppiche mit Schokolade beschmieren.“
„Kim? Um Himmels willen, nicht doch, Leon und Kim, das …“
Sie senkte den Blick und errötete.
Anna sah sie ungläubig an.
„Du bist mit einem Mann zusammen, der dein Kind nicht leiden kann.“
Wieder spürte Irene einen Stich. So hatte sie es noch nie betrachtet, doch wahrscheinlich hatte Anna recht. Kim störte Leon, nicht, dass er das jemals gesagt hätte, aber er benahm sich entsprechend.
„Leon ist nicht so für Kinder.“
„Genau, Leon ist für Leon und danach kommt ziemlich lange nichts, bevor noch einmal Leon kommt, in großem Abstand gefolgt vom Rest der Welt.“
„So ist er nicht, du solltest ihn besser kennen lernen.“
„Verzichte dankend.“
„Gib ihm eine Chance. Er ist in einer großen Familie aufgewachsen, hat in den ersten Jahren mit zwei Brüdern in einem Bett geschlafen. Sein erstes eigenes Zimmer hatte er mit 19, als er während des Studiums ins Wohnheim gezogen ist.“
„Armes Hascherl.“
„Anna, du bist ungerecht.“
„Mag sein, aber der Typ geht mir echt ab. Dass du auf den hereinfällst. Ich dachte immer, du brauchst einen Mann zum Kuscheln, einen, mit dem du reden kannst, der dir zuhört, sich für dich interessiert.“
„Für mich interessiert? Für eine allein erziehende Mutter ohne Geld und Zukunftschancen?“
„Wenn ich Zeit habe, bemitleide ich dich. Mensch Irene, du hast zwei komplette Berufsausbildungen, du stemmst das Leben mit Kim, sorgst für euch beide und hast abends sogar noch Zeit und Muße für ein Schwätzchen mit deiner besten Freundin.“
„Anna, ich mache mir ernsthaft Sorgen um Leon.“ Im gleichen Moment, in dem sie das sagte, zweifelte sie selbst daran. Sie hatte in den letzten Stunden nicht ein einziges Mal an ihn gedacht. Darüber mochte sie jetzt nicht nachdenken. Vielleicht konnte sie das Thema wechseln.
„Was wollte dieser Polizist von Kim?“
„Kofi? Er hat nach Emma gefragt.“
„Furchtbar. Was müssen die
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