Nur Fuer Schokolade
Waldrand, an dem Sylwia ermordet wurde. Und da war noch der Bekannte von Anika C., der das Mädchen allein nach Hause schickte, weil sie von ihm nichts wissen wollte. Der Staatsanwalt weiß, daß dieser, nach der Verabschiedung, einen Mann gesehen hat, der mit Anika auf der Straße gegangen ist. Eine Stunde, nachdem sie sich getrennt hatten, wurde Anika, so die Gerichtsmediziner, getötet.
Werden die schriftlichen und mündlichen Geständnisse dem Gericht zur Verurteilung ausreichen, wo doch Leszek sie nun vehement widerruft und deren Richtigkeit bestreitet?
Viele Prozeßbeobachter fragen sich, warum man den Opfern keine Spermaproben entnommen hat – entsprechende Analyse-möglichkeiten gab es zu diesem Zeitpunkt auch in Polen. Wie ist es zudem möglich, daß Beweise, wie die Haare, die auf der Mütze bei einem Opfer gefunden wurden und die nur vom Täter stammen konnten, verschwunden sind? Warum hat die Staatsanwaltschaft nicht die Arbeiten der Polizei überprüft, nie auf die schlampige Untersuchung hingewiesen? Warum hat die Gerichtsmedizin nicht detailliert Aufträge (z. B. die Sicherung der Spermien, Untersuchungen der Fingernägel der Opfer nach eventuellen Hautfetzen des Täters, Textilproben) erhalten und die Ergebnisse gesichert? Ein Opfer wurde im hohen Schnee gefunden, der Täter hatte die Frau über fünfzig Meter durch den Schnee geschleift. Es wurden nicht einmal Abdrücke von den Schuhsohlen gemacht. Leszek Pekalski trug jahrelang dieselben Schuhe, die er von der Caritas erhielt.
So wird Zeuge um Zeuge vernommen, doch niemand trifft Aussagen, die dem Gericht zur Wahrheitsfindung nützlich sein könnten.
Doch dies alles soll sich an dem Tag ändern, als man die Freundin Sylwias, Janina C., in den Zeugenstand ruft. Dem Staatsanwalt sind die hohen Erwartungen anzusehen, mit denen er den Gerichtssaal betritt. Aufgeregt blättert er in seinen Akten und blickt siegessicher zu den Verteidigern Leszeks. »Bitte rufen Sie die Zeugin Janina C. in den Saal«, bittet der Vorsitzende die Protokollführerin. Nach der Überprüfung der Personalien der Zeugin wird sie nochmals ermahnt, daß sie vor Gericht nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen habe.
»Sie waren eine Kollegin und Freundin von Sylwia R., ist das richtig?« beginnt der Vorsitzende die Befragung.
»Ja.«
»Sie arbeiteten im selben Geschäft wie Sylwia R.?«
»Ja.«
»Dann müssen Sie sich ja noch daran erinnern, daß an diesem fraglichen Tag, am 25. Juni 1991, nachmittags ein Mann in Ihren Laden kam und bettelte, ja. Ihre Freundin dann sogar noch zusagte, diesem Mann nach Feierabend belegte Brote zum nahegelegenen Waldrand zu bringen. Stimmt das?«
»Ja, das stimmt. Sylwia tat dieser Mann leid und sie bat mich nach Feierabend, sie zu begleiten. Sie war wie besessen, diesem Mann zu helfen. Der Mann sah ja auch ziemlich ärmlich aus mit seiner abgeschabten Kleidung und seinen zerrissenen Schuhen.«
»Haben Sie auch mit diesem Mann gesprochen oder sprach er nur mit Sylwia?«
»Er sprach nur mit ihr, ich hatte zwischenzeitlich Kunden zu bedienen. Ab und zu sah ich zu den beiden hinüber, aber ich konnte nicht verstehen, worüber sich die beiden unterhielten.«
»Den Mann, nennen wir ihn einmal Bettler, haben Sie an diesem Nachmittag also nicht so genau beobachtet?«
»Nein, er stand die meiste Zeit mit dem Rücken zu mir.«
»Ja, aber dann, nach Feierabend, sind Sie ja mit Sylwia zu diesem Mann mitgegangen, und da müssen Sie ihn doch genau gesehen haben, denn Sie waren einige Zeit mit ihm und Sylwia zusammen?«
Der Staatsanwalt blickt sie an, ist gespannt, was sie jetzt sagen wird.
»Nein, ich wollte zunächst Sylwia begleiten, aber dann habe ich mich doch entschlossen, allein nach Hause zu gehen.«
Unruhe entsteht im Saal. Der Staatsanwalt springt vom Stuhl hoch und starrt die Zeugin wütend an, unfähig, ein Wort zu sagen. Die Richter und Schöffen stecken die Köpfe zusammen.
Auf den Zuschauerbänken herrscht gespannte Nervosität.
Leszek Pekalski fängt an, leise zu lachen. Erst nach einiger Zeit kehrt Ruhe im Saal ein und der Richter setzt seine Befragung fort.
»Frau Zeugin, ich darf Sie daran erinnern, daß Sie bei Ihrer Vernehmung bei der Polizei ausgesagt haben. Sie wären sehr wohl mit Sylwia an den vereinbarten Platz gegangen und Sie hätten diesen Bettler genau gesehen und ihn als den Angeklagten wiedererkannt. Was sagen Sie dazu?«
»Die Wahrheit ist, daß ich nicht mit Sylwia zum Waldrand gegangen bin,
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