Nur Fuer Schokolade
sind die stechenden Augen auf diesem Foto; den Blick hat er offensichtlich verloren durch die Gewichtszunahme von dreißig Kilogramm.
»Herr Direktor, ich hätte noch eine große Bitte«, fängt der Besucher vorsichtig zu sprechen an, nachdem er bemerkt hat, wie wohlgesonnen der Direktor ist.
»Ich hätte gerne die Kleidung, die Leszek jetzt trägt. Sehen Sie eine Möglichkeit, daß ich sie bekommen könnte?«
»Wenn Leszek sie Ihnen gibt, ist dies kein Problem. Aber er braucht dann andere Kleidung, er kann ja wohl nicht nackt hier herumlaufen.«
»Natürlich bin ich bereit, ihm neue Kleidung zu kaufen. Was glauben Sie denn, was er gerne möchte?«
»Einen Jogginganzug, aber den mit den drei Streifen, das ist hier die große Mode, da überläßt er Ihnen alles.«
Wichtig ist ihm noch folgendes: »Den Anzug müssen Sie dann aber gleich kaufen lassen!«
Der Besucher zückt seinen Geldbeutel, der Einkauf ist organisiert.
»Ich sage den Beamten Bescheid, damit Sie keine Schwierigkeiten haben.«
»Was machen wir, wenn Leszek nicht mit uns reden will?«
fragt der Besucher noch und bekommt darauf auch gleich eine verblüffende Antwort:
»Wenn er sich weigert, mit Ihnen zu sprechen, lassen Sie mich rufen, dann spricht er schon. Der Betreuer von Leszek kommt gleich zu mir und wird Sie zu ihm begleiten. Angst brauchen Sie vor Leszek nicht zu haben, er ist sehr brav hier«, gibt der Direktor noch mit auf den Weg – einen Weg, den die Besucher wohl nie in ihrem Leben vergessen werden.
Nur wenige Meter vom Büro des Direktors entfernt, befindet sich auf der linken Seite des Ganges eine leere Zelle ohne Tür, dafür aber mit dicken Gitterstäben versehen. In dem düsteren Raum dahinter befindet sich eine Gestalt, die an die Gitter eilt, als das gesamte Team vorbeigeht. Sie ruft, sie schreit, doch die Dolmetscherin ist zu erschrocken, als daß sie übersetzen könnte. Verwirrt bleiben alle stehen, als der Mann direkt hinter den Gitterstäben auf sich aufmerksam macht. Sie erkennen Leszek Pekalski.
Mit beiden Händen umfaßt er die Stäbe und ruft immer wieder dieselben Worte, angsteinflößende Worte, weil sie keiner der Anwesenden versteht. Leszeks Betreuer nimmt die Dolmetscherin bei der Hand, und nachdem er ihm ein Paar Worte zugerufen hat, gehen sie weiter.
Sie kommen in einen circa siebzig Quadratmeter großen Raum, in dem das Interview stattfinden soll. Beim Eintreten sind bereits auf einem Tisch an der linken Seite fünf Plastiktüten aufgereiht, in denen sich die von Leszek gewünschten Sachen befinden. Diese hat er frühzeitig mitgeteilt, so daß der Einkauf rechtzeitig erledigt werden konnte. Der Einkaufszettel war zwar nicht kurz, gab dem TV-Team aber die Sicherheit, daß Leszek ein Interview vor laufender Kamera geben werde.
An erster Stelle des Wunschzettels, wie immer, viele Tafeln Schokolade – und Zahnpasta, die nur von einem deutschen Hersteller sein durfte. Lebensmittel, die im Gefängnis nicht zu kaufen sind, waren weitere Bedingungen – und natürlich Pornohefte.
Es widerstrebte allen Beteiligten, dieser Kreatur auch noch Geschenke zu machen, doch um ihr Ziel zu erreichen, waren diese Geschenke nur Mittel zum Zweck. Zwischenzeitlich hatten das Kamerateam und der Redakteur in einer Ecke einen Tisch mit der Schokolade und den Pornoheften aufgebaut, daneben einen Stuhl, auf dem Leszek Platz nehmen sollte. Alle Scheinwerfer waren auf diesen Stuhl justiert und die Kamera eingestellt. Wenige Meter daneben ein Tisch mit drei Stühlen für die Dolmetscherin, Leszek und dem Organisator. Es war vereinbart, daß sich dieser vor laufender Kamera mit Leszek unterhält. Viele Fragen hat er vorbereitet. Die Dolmetscherin macht sich noch einmal vertraut mit dem, was er von Leszek erfahren will, dann wird ein Diktiergerät aufgestellt.
»Haben Sie Angst vor Leszek, dann lasse ich ihn in Handschellen vorführen?« fragt der Betreuer Zbigniew S.. Die Antwort ist gelogen, als der Redakteur »Nein« sagt, doch er glaubt, daß es besser sei, ihn nicht so vorführen zu lassen.
Zwischenzeitlich kommt auch der Leiter der Vollzugsbeamten und dessen Anwesenheit gibt dem Team Sicherheit.
Beide Beamten, der Betreuer und der Leiter des Vollzuges, nehmen in einer Ecke Platz, und das ist für das Trio das Zeichen, daß Leszek in Kürze vorgeführt wird. Nervös überprüft der Kameramann zigmal seine Beleuchtung, den TV-Redakteur hält es nicht auf dem Stuhl und auch der vorn sitzende, spätere Interviewer Leszeks ist
Weitere Kostenlose Bücher