Nur wenn du mir vertraust - Crombie, D: Nur wenn du mir vertraust - Now May You Weep
Duncan ihm für diese Woche gegeben hatte, und zählte es. Es reichte – wenigstens für die Hinfahrt, und an die Rückfahrt verschwendete er vorläufig noch keinen Gedanken. Er wollte nur an irgendeinem vertrauten Ort sein, irgendwo, wo er sich wohl fühlte und sich alles in Ruhe durch den Kopf gehen lassen konnte.
Er sprintete hinter dem Bus her.
»Es geht um unseren Sohn«, erklärte Kincaid Ross. »Er scheint unsere Abwesenheit ausgenutzt zu haben, um die Schule zu schwänzen«, fügte er hinzu, bemüht, die Sache herunterzuspielen.
»Wie alt ist denn der Knabe?«, fragte Ross.
»Zwölf.«
»Ach, dann beneide ich Sie wirklich nicht«, meinte Ross mitfühlend. »Das ist ein schwieriges Alter. Na ja, dann lasse ich Sie mal machen. Ich bin sicher, dass Sie ihn bald finden werden – falls er nicht von alleine zurückkommt, sobald er Hunger kriegt.« Er stieg in den Wagen, doch als sein Sergeant zurücksetzte, rief er ihnen noch durchs Fenster zu: »Ich wusste gar nicht, dass Sie beide verheiratet sind. Da blickt man ja nicht mehr durch heutzutage, wenn die Frauen alle ihre eigenen Namen haben.«
»Was fällt dem eigentlich ein –«, begann Gemma, als Ross davonbrauste, doch dann schüttelte sie den Kopf. »Ach, vergiss es. Was hat Wesley denn nun genau gesagt?«
»Er hat sich zum ersten Mal Sorgen gemacht, als Kit nicht zur gewohnten Zeit aus der Schule zurückkam. Nach einer Stunde hat er dann einen von Kits Schulkameraden angerufen, der mit ihm zusammen an dem Naturwissenschafts-Projekt arbeitet – Sean heißt er, glaube ich.« Das sollte ich eigentlich wissen, schalt Kincaid sich wütend. Es war seine Aufgabe, solche Dinge zu wissen. Er zwang sich fortzufahren: »Sean hat Wesley erzählt, dass Kit heute überhaupt nicht in der Schule war.«
»Hat er Wes denn keine Nachricht hinterlassen?«
»Wes konnte jedenfalls keine finden.«
»Und Tess?«, fragte Gemma. »Hat er Tess mitgenommen?« Kit ging selten ohne den kleinen Terrier aus dem Haus, mit dem er sich in den Tagen nach dem Tod seiner Mutter angefreundet hatte.
»Nein. Aber seine Schultasche ist auch verschwunden, also muss er doch –«
»O Gott.« Gemma war plötzlich kreidebleich im Gesicht. »Du glaubst doch nicht – dass jemand –«
»Nein.« Kincaid nahm sie in den Arm und drückte sie ganz fest an sich. »Nein, ich glaube nicht, dass ihm etwas passiert ist. Ich glaube, er war einfach sauer auf mich und hat sich in letzter Minute entschlossen, die Schule zu schwänzen. Ich werde Laura Miller anrufen.«
Laura Miller und Kits Mutter Vic hatten zusammen am Institut für Englische Literatur an der Universität gearbeitet, und Lauras Sohn Colin war Kits bester Schulfreund gewesen. Nach Vics Tod hatte Kit einige Monate bei den Millers gewohnt, und noch immer besuchte er Colin alle paar Wochenenden.
»Ja.« Gemma rang sich ein angedeutetes Lächeln ab. »Bestimmt ist er dorthin gefahren.«
Doch als Kincaid Laura am Telefon erreichte, sagte sie, dass sie Kit seit seinem letzten Besuch bei ihnen nicht mehr gesehen habe. Sie versprach, Colin gründlich auszufragen und zurückzurufen, sobald sie irgendetwas wüsste.
Als er Gemma sagte, was der Anruf ergeben hatte, sah er die Panik in ihren Augen aufflackern. »Wir werden einen Steckbrief herausgeben müssen«, sagte sie. »Wenn er schon heute früh weggelaufen ist, könnte er inzwischen weiß Gott wo sein –«
»Nein, warte.« Kincaid hob abwehrend die Hand; ihm war eine Idee gekommen. »Lass mich noch eine Sache versuchen.« Diesmal wählte er eine Nummer in Grantchester. Nathan Winter war Vics Nachbar und kurze Zeit auch ihr Liebhaber gewesen. Er war Biologieprofessor in Cambridge und hatte in Kit, mit dem er sich angefreundet hatte, die Liebe zur Naturwissenschaft geweckt.
»Hallo, Nathan, bist du’s? Hier spricht Duncan –«
»Es ist alles in Ordnung, Duncan«, ließ sich Nathans vertrauter Brummbass vernehmen. »Er ist hier. Ich habe ihn vor einer halben Stunde unten am Fluss entdeckt. Jetzt bringe ich ihm gerade Tee und Sandwiches raus in den Garten – der arme Junge war total ausgehungert.«
Kincaid wurde ganz schwindelig vor Erleichterung, doch das Gefühl wurde sehr bald durch eine Anwandlung von Zorn verdrängt. Was, zum Teufel, hatte Kit veranlasst, einfach so nach Grantchester zu fahren, ohne ihnen Bescheid zu sagen? Und wie sollte er den Jungen wieder nach Hause schaffen, wenn er ihm so wenig vertrauen konnte? Selbst wenn er Nathan bäte, ihn in den Zug zu setzen, hätte
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