Nur wenn du mir vertraust - Crombie, D: Nur wenn du mir vertraust - Now May You Weep
ihre Berufsehre zu appellieren. »Nun, Inspector James – haben Sie irgendetwas gesehen oder gehört, woraus Sie schließen würden, dass eine dieser Personen einen Grund gehabt haben könnte, Donald Brodie zu ermorden?«
Sie betrachtete einen Augenblick lang ihre verschränkten Hände, bevor sie ihm in die Augen sah. »Nein. Ich habe keine Ahnung, warum irgendjemand Mr. Brodie hätte töten wollen. Aber… ich habe etwas gesehen. Gestern Abend. Da war eine Frau an der Haustür, sie hatte ein Kind dabei und wollte Donald sprechen. Er ist zu ihr vor die Tür gegangen, und durchs Fenster konnte ich beobachten, dass sie sich stritten. Und da war noch ein anderer Mann, der etwas abseits im Schatten stand. Wir sind dann zum Essen ins andere Zimmer gegangen, und nach einer Weile kam auch Donald Brodie nach. Ich weiß nicht, was die Frau oder der Mann anschließend getan haben.«
»Und niemand hat Mr. Brodie über den Zwischenfall befragt?«
»Nein. Es war eine… peinliche Situation.«
»Sie wissen also nicht, wer die Frau war?«
»Nein.« Sie wandte sich ab und blickte zum Fenster hinaus, auf die von Polizeifahrzeugen gesäumte Einfahrt, und sie schien einen Entschluss zu fassen. »Allerdings hatte ich den deutlichen Eindruck, dass Heather Urquhart sie kannte.«
10. Kapitel
Die Wildrosen hatten gerade zu blühen begonnen, rosa und weiß, und der Ginster war gelb wie gute Landbutter; hier und da stiegen Duftwolken auf, die sich süßlich-schwer wie Opium auf das Gemüt legten.
Neil Gunn, »Die Schlange«
Callum hatte zeitig gefrühstückt und war dann losgefahren, um das Gepäck der Trekker aus der Pension in Ballindalloch abzuholen. Tante Janet würde die Gruppe auf einem anderen Weg zu den Stallungen zurückführen, mit einer Pause für einen Picknick-Lunch. Für einen kurzen Moment beneidete er sie um ihren Spazierritt durch die Wälder und Wiesen, wo man immer wieder innehalten konnte, um in die stillen Forellenteiche zu blicken, die wie Juwelen den Lauf des Spey säumten.
Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte es ihm genügt, am Abend in seiner kleinen Hütte am Kamin zu sitzen, die Füße hochzulegen und von den Taten seiner jakobitischen Vorfahren zu lesen. Doch dann war Alison in sein Leben getreten, und mit ihr eine nagende Unzufriedenheit.
Plötzlich überkam ihn eine Woge der Erschöpfung. Er lenkte den Transporter an den Straßenrand, wo hinter einer Biegung der Blick weit über die sanften Hügel von Benvulin reichte. Er genoss die Aussicht und versuchte dabei nicht an Donald Brodie zu denken, sondern sich die Dinge ins Gedächtnis zu rufen, die er liebte – den Duft von wildem Thymian und Kiefernnadeln an einem stillen Sommertag, die roten Früchte der Vogelbeeren im Herbst, die schwarzen Spuren der Schneehühner im winterlichen Weiß. Callum hatte ganz entspannt in seinem eigenen Rhythmus gelebt, und wenn ihn auch im Umgang mit Frauen Hemmungen plagten, war er doch ganz in seiner Aufgabe als Führer aufgegangen; er hatte es genossen, den Touristen die Landschaft nahe zu bringen, durch die sie ritten, ihnen die Flora und Fauna der Region zu erklären, die wechselvolle Geschichte, die dieses felsige Land atmete.
Die Augen wollten ihm zufallen, und mit einem Ruck riss er sich aus seiner Träumerei. Allmählich begann sich der Schlafmangel der vergangenen Nacht bemerkbar zu machen, doch das war die Sache wert gewesen. Alles, was er getan hatte, hatte er aus den besten Motiven getan, für Alison und für Chrissy. Jetzt, da Alison die Wahrheit über Donald erfahren hatte, würde sie die Dinge gewiss in einem neuen Licht sehen. Mit einem kurzen Blick in den Rückspiegel lenkte er den alten Transporter wieder auf die Straße. Heute Abend würde er bei Alison vorbeischauen, aber zuvor musste er noch seinen Pflichten nachkommen.
Er war erst ein paar Meilen gefahren, als er vor sich das Blaulicht aufleuchten sah. Hinter der Kurve musste er abrupt bremsen. Die Straße war von Polizeifahrzeugen gesäumt, und auf dem Seitenstreifen drängten sich Scharen von Menschen. Sein erster Gedanke war, dass seinem Vater etwas zugestoßen war – er und Janet waren in steter Sorge um ihn, wenn er Abend für Abend in Schlangenlinien die enge, kurvige Straße entlang zum Pub und zurück wankte. Aber das war immer noch sicherer, als ihn ans Steuer eines Autos zu lassen. Hatte der alte Mann das Schicksal ein Mal zu oft herausgefordert und war vor ein vorbeifahrendes Auto gelaufen?
Doch als Callum näher kam, erkannte er,
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