Nur wenn du mir vertraust - Crombie, D: Nur wenn du mir vertraust - Now May You Weep
Morgen gewesen? Er konnte kaum mehr als eine halbe Stunde gebraucht haben, um die Eier zu besorgen, doch er war wesentlich länger fort gewesen. Er hatte Angst, das hatte sie regelrecht riechen können, und es war auch nicht das erste Mal, dass er ohne Erklärung verschwunden war.
Louise setzte zurück und lenkte den Landrover zur Straße. Sie bremste ab, als ein Polizist auf ihr Fenster zutrat. Seine gelbgrüne Jacke glänzte vom Regen, und der Schirm seiner Dienstmütze war mit kleinen Wasserperlen besetzt. Als sie die Scheibe herunterkurbelte, prasselten Tropfen auf die Türleiste herab.
»Ma’am«, sagte der Constable, »Sie dürfen nicht –«
»Chief Inspector Ross hat gesagt, es stünde uns frei zu gehen.«
Er trat einen Schritt zurück und sprach in das Funkgerät an seiner Schulter. Nach wenigen Augenblicken nickte er ihr zu. »Entschuldigen Sie bitte, Ma’am.«
Die Menschenmenge, die sich um die Einfahrt herum und entlang der Straße drängte, wollte sie nicht so leicht gehen lassen. Louise lenkte den Wagen im Schritttempo hindurch und vermied jeden Blickkontakt mit den Umstehenden, von denen einige ihr irgendwie bekannt vorkamen. Als ein Mann eine Fernsehkamera auf das Fahrerfenster richtete, schüttelte sie energisch den Kopf und trat aufs Gaspedal.
Es gelang ihr, die Menge hinter sich zu lassen, und sie war frei. Der Wagen glitt fast lautlos dahin, bis auf das rhythmische Quietschen der Scheibenwischer. Nach etwa einer Meile bremste sie ab und bog nach rechts in einen holprigen Feldweg ein, in den die Pferdefuhrwerke tiefe Furchen gegraben hatten. Ein verwittertes Schild an einem Zaunpfahl verriet, dass der Weg zu MacGillivrays Reitstall führte.
Das Haus sah verlassen aus; nicht ein Rauchwölkchen stieg aus dem Schornstein in den verregneten Himmel auf. Auch von Callums Vater Tom war nichts zu sehen, wofür Louise dankbar war. Das alkoholisierte Gefasel des Alten hätte sie einfach nicht ertragen – nicht heute.
Sie fuhr weiter bis zum Pferdestall, parkte und stieg aus. In geduckter Haltung lief sie durch den Regen auf die offene Tür zu und trat ein. Trotz der feuchten Witterung war es im Stall warm, und die Luft roch intensiv nach Mist. Zwei Pferde beäugten sie mit verhaltener Neugier über die Türen ihrer Boxen hinweg; in einem der beiden erkannte sie Callums Pferd Max. Sie rief Callums Namen, und ihre Stimme klang zaghaft, als sie in dem weiten Raum widerhallte.
Da sie keine Antwort bekam, ging sie hinaus und blickte hinunter zu der alten Bauernhütte, die zwischen den Stallungen und den Wiesen am Flussufer lag. Sie wusste, dass Callum dort und nicht im Haupthaus wohnte, aber sie war selbst noch nie in der Hütte gewesen. Im Lauf des vergangenen Jahres hatte sich eine unerwartete Freundschaft zwischen ihnen entwickelt, gegründet auf ihrem gemeinsamen Interesse an der heimischen Pflanzenwelt. Callum war ein wenig seltsam, wie Louise zugeben musste, doch in gewisser Weise war gerade seine etwas verschrobene Art der Grund, weshalb sie sich in seiner Gegenwart wohl fühlen und sich ihm gegenüber so öffnen konnte, wie sie es nur bei sehr wenigen Menschen tat. Bei Callum musste sie nicht befürchten, irgendwelchen Vorstellungen nicht zu genügen oder sich als Zugereiste zu verraten.
Aber in seiner Hütte hatte sie ihn bisher noch nie besucht. Sie stand unschlüssig da und fragte sich schon, ob es ein Fehler gewesen war, hierher zu kommen, als sie ein flackerndes Licht im Fenster bemerkte.
Ehe sie es sich noch anders überlegen konnte, lief Louise schon den steinigen Fußweg hinunter und klopfte leise an die Tür. Wütendes Hundegebell ließ sie zusammenzucken, und Callums Stimme rief: »Na los, komm schon rein!«
Louise trat ein und streckte gleich Callums Labrador-Retriever Murphy die Hand hin, damit er sie beschnuppern konnte. Sie sah, dass die Hütte nur aus einem einzigen Raum bestand. Beheizt wurde er mit einem alten Ofen, und die einzige Lichtquelle war eine Petroleumlampe, die auf einem zerkratzten Tisch stand. An diesem Tisch saß Callum, offensichtlich in das Studium von Geschäftsbüchern vertieft.
Er blickte auf und rief: »Louise! Was machst du denn hier? Ich dachte, es wäre mein Vater.« Er stand auf und schlug die zuoberst liegende Kladde zu.
»Hast du es denn noch nicht gehört?«
»Es ist also wahr, das mit Donald?«
Sie nickte. »Woher weißt du –«
»Ich hab die Leute vor eurer Einfahrt gesehen. Ich hab gleich angehalten, aber sie wollten mich nicht
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