Nur zu deinem Schutz (German Edition)
Name schon versprach – ein kreisförmiges, in Ringen angelegtes Gebäude, aber das war nicht das Erste, was einem auffiel. Das Erste, was einem auffiel, war der Dreck. Das Saturn Rings war einer jener schäbigen und verdreckten Orte, die sofort den Wunsch in einem auslösen, in Desinfektionsmittel zu baden.
Myrons Ford Taurus – der, mit dem Mom mich am Morgen noch zur Schule gefahren hatte, in dem sie zur Musik aus dem Radio mitgesungen und mir eine Entschuldigung fürs Zuspätkommen geschrieben hatte – stand auf dem Motelparkplatz. Myron hatte den Wagen mit einem GPS -Sender ausgerüstet. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht hatte er mit so etwas gerechnet.
Eine Weile starrten wir bloß schweigend auf den Wagen. Aufreizend gekleidete Frauen stöckelten auf zu hohen Absätzen auf dem Parkplatz hin und her. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen, und ihre Wangen waren so eingefallen, als hätte der Tod bereits Anspruch auf sie erhoben.
Ich hörte meinen eigenen Atem, der stoßweise ging.
»Willst du nicht doch lieber im Wagen bleiben?«, fragte Myron.
Ich sparte mir eine Antwort. Als wir ausstiegen, fragte ich mich, wie Myron herausfinden wollte, in welchem Zimmer sie war, aber wie sich kurz darauf herausstellte, bereitete das keinerlei Probleme. Wir betraten eine Lobby, in der kaum genug Platz für den Automaten war, der darin stand. Der Mann hinter der Empfangstheke trug ein speckiges Trägershirt, das nur die Hälfte seiner riesigen Wampe bedeckte. Myron schob ihm einen Hundert-Dollar-Schein zu, er ließ ihn verschwinden, rülpste und sagte: »Zimmer zwei-zwölf im C-Ring.«
Schweigend machten wir uns auf den Weg. Falls ich doch noch so etwas wie Hoffnung in mir hatte, erlaubte ich mir nicht, sie zuzulassen. Warum?, fragte ich mich. Vor weniger als einem Jahr waren wir noch eine glückliche, intakte Familie gewesen. Ein Glück, das wir für selbstverständlich gehalten hatten. Ich schob auch diesen Gedanken beiseite. Schluss mit dem Selbstmitleid.
Als wir vor der Tür angekommen waren, tauschten Myron und ich einen Blick. Er zögerte, also nahm ich es in die Hand und klopfte. Wir warteten. Nichts passierte. Ich klopfte noch einmal, diesmal energischer, und presste ein Ohr an die Tür. Immer noch nichts.
Myron stöberte ein Zimmermädchen auf und diesmal kostete es ihn nur zwanzig Dollar. Sie zog eine Magnetkarte durch das elektronische Schloss und die Tür schwang auf. Der Raum war stockdunkel, als wir eintraten. Myron zog die Vorhänge auf. Meine Mutter lag ausgestreckt auf dem Bett. Am liebsten wäre ich aus dem Zimmer gerannt oder hätte ganz fest die Augen zugekniffen.
Ein Junkie ist nie ein schöner Anblick.
Ich ging zu ihr hin und rüttelte sie sanft an der Schulter. »Mom?«
»Es tut mir leid, Mickey.« Sie fing an zu weinen. »Es tut mir so leid.«
»Es wird alles wieder gut.«
»Bitte hass mich nicht.«
»Nein«, flüsterte ich. »Ich könnte dich nie hassen.«
Wir brachten sie in die Klinik zurück. Mrs Shippee kam uns in der Eingangshalle entgegen, nahm meine Mutter an der Hand und führte sie durch die Sicherheitsschleuse. Moms klägliches Schluchzen verstummte erst, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Ich sah Myron an. Vielleicht lag Mitleid in seinem Blick, aber was ich vor allem darin sah, war Abscheu.
Ein paar Minuten später kam Mrs Shippee zurück. Ihr ganzes Auftreten verströmte Sachlichkeit und Nüchternheit. Das hatte mir immer Vertrauen eingeflößt. Jetzt nicht mehr.
»Kitty darf für mindestens drei Wochen keinen Besuch mehr bekommen«, verkündete sie.
Das gefiel mir nicht. »Nicht einmal von mir?«
»Kein Besuch, Mickey.« Sie sah mich an. »Nicht einmal von dir.«
»Drei Wochen?«
»Mindestens.«
»Aber …«
»Kein Aber. Wir wissen, was wir tun«, unterbrach sie mich.
Ich schnaubte. »Ja, klar. Das sehe ich.«
»Mickey …«, sagte Myron leise.
Aber ich war noch nicht fertig. »Wenn Sie das wirklich wüssten, würden wir ja jetzt wohl nicht hier stehen.«
»Wir haben heute Morgen noch darüber gesprochen, dass die Rückfallquote sehr hoch ist«, sagte Mrs Shippee. »Schon vergessen?«
Ich dachte daran, wie Mom mich angelächelt hatte, wie sie mir am Telefon gesagt hatte, sie wäre zu Hause und würde Spaghetti mit Fleischklößchen für mich machen, dass sie sogar behauptet hatte, sie würde extra noch Knoblauchbrot für mich backen. Gelogen. Alles gelogen.
Ich stürmte aus der Eingangshalle nach draußen. Der Himmel spannte sich wie ein schwarzes
Weitere Kostenlose Bücher