Nur zu deinem Schutz (German Edition)
Laken über mir. Kein einziger Stern war zu sehen. Ich suchte nach dem Mond, aber auch von ihm gab es weit und breit keine Spur. Ich wollte schreien oder etwas kaputt schlagen. Nach ein paar Minuten kam Onkel Myron heraus und entriegelte den Wagen.
»Es tut mir unglaublich leid«, sagte er.
Ich gab ihm keine Antwort darauf. Er hasste meine Mutter und hatte offenbar genau gewusst, dass das passieren würde. Wahrscheinlich genoss er es auch noch, recht behalten zu haben. Nachdem wir eine Weile gefahren waren, sagte Myron: »Wir können den Flug nach Los Angeles canceln, wenn du möchtest.«
Ich dachte darüber nach. Hier konnte ich ohnehin nichts tun. Christine hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass sie mich fürs Erste nicht zu meiner Mutter lassen würde. Außerdem waren meine Großeltern bereits nach L.A. unterwegs. Sie wollten das Grab ihres Sohnes sehen. Das verstand ich. Ich wollte es auch wiedersehen.
»Nein, wir fliegen«, sagte ich.
Myron nickte. Den Rest der Fahrt legten wir schweigend zurück. Als wir zu Hause ankamen, ging ich sofort in den Keller, schloss die Tür hinter mir ab und setzte mich an meine Hausaufgaben. Für Mrs Friedman sollten wir einen kurzen Aufsatz über die Französische Revolution schreiben, und ich zwang mich dazu, mich ausschließlich darauf zu konzentrieren, um die anderen Gedanken aus meinem Kopf auszusperren. Normalerweise stemme ich viermal pro Woche Gewichte, aber da ich heute nicht dazu gekommen war, machte ich stattdessen dreimal sechzig Liegestützen. Danach fühlte ich mich ein bisschen besser. Bis ich schließlich geduscht hatte und im Bett lag, war es Mitternacht. Ich versuchte, ein Buch zu lesen, aber die Worte verschwammen vor meinen Augen zu einem trüben Nebel. Ich löschte das Licht und starrte in die Dunkelheit.
Mir war klar, dass ich auf keinen Fall schlafen können würde.
Myron hatte im Keller noch keinen Fernsehanschluss legen lassen. Ich dachte kurz darüber nach, hochzugehen und irgendeine Sportsendung zu schauen, aber da ich meinem Onkel nicht begegnen wollte, griff ich nach meinem Handy und schrieb Ashley zum x-ten Mal eine SMS . Anschließend lag ich da und wartete auf eine Antwort. Es kam natürlich keine. Ich fragte mich, ob ich Tyrells Vater von ihr erzählen sollte, wusste aber nicht, ob das klug war. Ich dachte noch eine Weile darüber nach, dann klappte ich meinen Laptop auf und googelte wieder einmal nach Ashleys »Eltern«, was mich jedoch auch nicht wirklich weiterbrachte. Mr Kent war tatsächlich Arzt. Er war als Kardiologe am Valley Hospital tätig, und Mrs Kent war, genau wie Ashley es erzählt hatte, Anwältin und arbeitete für eine große Kanzlei namens Roseland. Okay, aber was bewies das?
Um ein Uhr morgens meldete sich mein Handy. Ich hechtete förmlich danach und hoffte gegen jede Vernunft, dass es Ashley war. Natürlich war sie es nicht. Es war Ema: noch wach?
Ich schrieb Kann nicht schlafen zurück.
Ema: sollen wir morgen noch mal versuchen, bei der hexe einzubrechen?
Ich: Geht nicht. Fliege nach L.A.
Ema: was machst du da?
Und dann tat ich etwas, das mich selbst überraschte und völlig untypisch für mich war. Ich schrieb die Wahrheit: Das Grab von meinem Vater besuchen.
Als ich nach fünf Minuten immer noch keine Antwort bekommen hatte, erteilte ich mir selbst einen Anschiss. Mit so was Persönlichem platzt man doch nicht einfach in einer SMS heraus, verdammt. Okay, ich hatte einen schwachen Moment gehabt. Es war ein total verstörender und emotionaler Tag gewesen. Ich überlegte gerade, was ich schreiben könnte, um ein bisschen die Dramatik herauszunehmen, als schließlich doch noch eine SMS von ihr kam.
Ema: schau mal in euren garten.
Ich stand auf und ging zum Fenster in der angrenzenden Waschküche, die nach hinten raus lag. Etwas weiter weg sah ich jemanden stehen – wahrscheinlich Ema –, der mit dem leuchtenden Display seines Handys winkte.
Ich: Gib mir f Ü nf Minuten.
Ich brauchte weniger. Ich zog mir eine Jogginghose und ein T-Shirt an und schlüpfte durch die Hintertür hinaus. Ema war wie immer von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt und sah aus wie eine Vampirbraut. An ihren Ohren baumelten Totenkopfohrringe, und den silbernen Stift, der normalerweise in ihrer Augenbraue steckte, hatte sie durch einen kleinen silbernen Ring ersetzt.
Sie vergrub die Hände in den Hosentaschen und deutete auf den Basketballkorb. »Könnte mir vorstellen, dass das hilft«, sagte sie.
»Was?«
»Basketball«, sagte Ema.
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