Nuramon
den Rücken gekehrt hatte.
Zurück im Palast, fand Nuramon Daoramu im Garten, am Rande des Fürstenparks. Nur wenige Schritt vom Rand der Klippe entfernt saß sie neben Nylma auf einer Steinbank und schaute in der heranbrechenden Dämmerung über die Stadt.
Nylma hielt Waragir im Arm. Der Junge saugte an Nylmas Brust, und seine kleine Hand lag auf dem Almandin, der nach wie vor an der Kette aus Gelgerokleder herabhing. Die Kriegerin führte mittlerweile die Palastwache, die Teil der Fürstengarde war, während Yargir sich als Anführer der Leibwache stets in der Nähe Borugars aufhielt.
Nuramon setzte sich zu den beiden Frauen und küsste Daoramu.
»Nun? Sind die Passfestungen noch sicher?«, fragte Nylma.
Nuramon nickte. »Und die Albensterne sind kartografiert. Jasgur möchte, dass ich ihm und einer Streitmacht den Weg nach Osten öffne. Seine Leute sind bereit zu einem Großangriff.«
»Und hat er dich schon gefragt, ob du mitkommst?«, fragte Daoramu mit einem bitteren Lächeln auf den Lippen.
»Er meint, dass meine Aufgabe als Hüter der Albenpfade im Augenblick wichtiger sei als die eines Kriegers.« Er schmunzelte. »Außerdem will er den Ruhm nicht mit mir teilen.«
Nylma nickte anerkennend. »Ich wünschte, ich könnte dabei sein.« Sie schaute auf ihren Sohn hinab. »Aber ich glaube, hier werde ich dringender gebraucht.« Sie lächelte liebevoll, löste ihren Sohn von der Brust und knöpfte ihr Hemd zu. »Ich lasse euch allein«, sagte sie und zwinkerte ihnen zu.
Als sie gegangen war, schloss Nuramon Daoramu in den Arm und schaute mit ihr auf die Stadt hinab. »Ich hörte, du warst nicht untätig.«
»Wer erzählt denn so etwas?«, fragte Daoramu in gespielter Empörung.
»Yurna hört so manches.«
»Sie ist eine wunderbare Frau«, sagte Daoramu. »Auch sie sollten wir in unserer Nähe halten.« Sie strich über seine Hand. »Ich habe heute die Briefe einiger Yannaru beantwortet. Manche sind weit von unserem Zweig des Stammbaums entfernt, mit ande ren teile ich denselben Urgroßvater. Ich möchte ihnen Hoffnung machen.«
»Widerspricht das nicht deinen Idealen?«, fragte er.
»Es ist eine Gratwanderung. In diesen Tagen können wir alle Verbündeten gebrauchen, die wir finden können. Vielleicht rächt es sich. Aber ich kann Helerur nicht vergessen.«
Nuramon küsste Daoramu und strich ihr über den Bauch. »Der Abend kommt. Wir sollten ihn unbedingt vergessen.« Das Kind war still.
»Sie schläft«, sagte Daoramu und strich sich über die Augen. »Wenn sie mir nachts das Gleiche gönnen würde, wäre alles in Ordnung.« Sie wirkte müde von der Schwangerschaft; von den Nächten, in denen sie nicht wusste, wie sie sich legen sollte, um einzuschlafen; vom Aufwachen, weil die Tochter sich in ihrem Bauch bewegte; und von den vielen Ruhepausen bei Tage, dem kurzen Atem und der Appetitlosigkeit.
»Aber immerhin plagt mich keine Übelkeit«, sagte sie. »Es ist wie bei Nylma.«
Sie beobachteten gemeinsam, wie Feuer, Lampen und Laternen nach und nach gegen die nahende Dunkelheit ankämpften. »Möchtest du immer noch einen elfischen Namen für unser Töchterchen?«, fragte Nuramon nach einer Weile.
Daoramu lächelte. Und wie bereits in den vergangenen Tagen trug sie ihm Elfennamen vor, die sie von ihm aufgeschnappt hatte. »Yulivee, Obilee, Gaomee – Emerelle«, sagte sie und fuhr mit Namen fort, die er ihr gegenüber nie genannt hatte. »Deirane und Erivee«, sagte sie, und Nuramon dachte an die Geliebten seines Cousins Bel rion, der mit ihm und ihrem gemeinsamen Cousin Varaldin in Ische mon gewesen war.
»Schau nicht so überrascht«, sagte sie. »Ich habe die Namen von Ceren.«
»Und welcher Name ist dir der liebste?«, fragte er.
Sie lächelte, wich seinem Blick aus, und es bedurfte viel Überredungskunst, sie dazu zu bewegen, ihn zu nennen. »Nerimee«, flüsterte sie schließlich.
»Das ist der Name einer Cousine aus meinem dritten Leben«, sagte er. »Als ich der Familie Schande brachte, war sie längst im Mondlicht, und der Name wurde nie wieder vergeben.«
»Ist es die weibliche Form von Nuramon?«
»Nein«, antwortete er. »Nuramon bedeutet kleiner Zauberer .«
Daoramu strahlte. »Und Nerimee?«
»Kleines Orakel« , sagte er.
Sie lächelte, er nickte, und damit war die Namenssuche beendet.
Orakelblick
»Das ändert alles«, sagte Doaro. Der Herzog von Gaelbyrn war einer von Borugars Feldherren. »Meine Krieger brennen darauf, die Heimat zurückzuerobern. Wann also greifen
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