Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nybbas Nächte

Nybbas Nächte

Titel: Nybbas Nächte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
Vom Netzwerk:
sich die Verletzung anzusehen. Sein Arm kribbelte, die Finger zuckten unruhig. Er roch das Adrenalin in Joanas Körper, aber noch deutlicher lag ihre Sorge in der Luft. Auch ihre Hände zitterten und dies war nicht darauf zurückzuführen, dass das Messer ursprünglich sie hatte treffen sollen.
    „Ich bin okay, Jo.“ Nun gut, das Blut quoll stoßweise hervor, tränkte seinen Pullover und tropfte aus der Wolle zu Boden. Eisige Kälte kroch durch seinen Arm. Das Miststück musste die Achselarterie erwischt haben.
    „Na klar.“ Hinter Jos aufgesetzter Ruhe vibrierte es bedenklich. „Diesmal hat dich ja auch nur ein Messer durchbohrt. Kinderkram für jemanden wie dich. Was denkst du, brauchst du ein Heftpflaster, oder reicht es, wenn ich puste?“ Sie biss sich auf die Lippe, während sie das Loch in seinem Pullover mit den Fingern weiter riss, ihre Hand darunterschob und auf die Wunde presste, was verdammt wehtat. „Nicholas, das blutet wie verrückt.“
    Ihm schwindelte, er lehnte sich gegen den Türrahmen.
    „Nicholas?“, stieß sie hervor. „Du wirst jetzt nicht blass, oder? Hör auf mit dem Mist.“
    „Du brauchst keine Angst zu haben, Jo.“ Lallte er? Nein, seine Stimme klang nur belegt, weil sein Mund so trocken war. „Wirklich, es besteht kein Grund zur … Mein Blut heilt Wunden sehr schnell, und …“
    „Dann heil bitte schneller, verdammt, solange noch Blut in deinem Körper ist.“
    Ihre Stimme klang verzerrt, beinahe hysterisch, nahm jedoch an Lautstärke ab, als würde ihr jemand den Ton runterdrehen. Er wollte sie fragen, ob alles in Ordnung war, da gaben dummerweise seine Beine nach. Der Schatten begehrte mit einer plötzlichen Dringlichkeit auf, der er nichts entgegensetzen konnte. Als Nybbas entwich er und betrachtete erstaunt, wie sein Körper zu Boden fiel, mit einem Poltern aufschlug, um auf den Dielen liegen zu bleiben.
    Es war wohl ein bisschen viel Blut gewesen.
    Rut und ihre Dämonin schreckten auf, als beide seine dämonische Präsenz nun in aller Deutlichkeit spürten. Ihr Anstarren unterschied sich kaum von Menschen, die zum ersten Mal einen Dämon sahen. Zunächst riss Rut die Hände hoch, im Begriff, eine Glyphe zu zeichnen, um ihn zu bannen, doch Joana hielt sie mit einem schrillen „Nicht!“ zurück.
    „Ich glaube, er ist ohnmächtig geworden“, rief sie aufgebracht und sah ihn an. „Kein Grund zur Sorge,was? Oh, du dämlicher Kerl!“
    Ohnmächtig? Wenn es möglich gewesen wäre, hätte er gelacht. Der instinktive Teil in ihm rief dröhnend danach, das Haus zu verlassen und sich in den Wind zu werfen, um die Freiheit auszukosten, die dieses Land bot. Er war so lange nicht mehr geflogen und noch nie mit der Gewissheit, dass kein Clerica in der Nähe war, der ihn hätte bannen können. Allerdings konnte er Joana nicht mit diesen Fremden und seinem erkaltenden Körper allein lassen. Also glitt er unstet und mit ausreichend Abstand zu der verdutzt schauenden Rut und der zerknirscht wirkenden Dämonin im Raum auf und ab, ließ durch seine pure Anwesenheit ein paar Nippesfigürchen auf dem altmodischen Sekretär vibrieren und überlegte, wie er zurück in seinen Körper gelangen sollte, ohne dass ihm dieser sofort verblutete. Das sah übel aus, und nun näherte sich auch noch Rut seinem Refugium. Doch Joana schien der Frau, die sich mit viel Mühe und unter angestrengtem Stöhnen niederkniete, zu vertrauen.
    „Gut, dass er seinen Körper verlassen hat“, sagte die alte Clerica zu Joana, während sie die Stichwunde untersuchte. „Da das Herz nicht mehr schlägt, hat die Blutung aufgehört. Ich fürchte, wir müssen trotzdem einen Arzt rufen, der das näht.“
    Sie rief ihrer Dämonin, die sie mit dem Namen Sunna ansprach, etwas in ihrer Sprache zu, und diese griff nach dem Telefon und brachte es Rut.
    Sie wollten also einen Arzt ausfindig machen, der an einem theoretisch toten Körper eine Stichwunde versorgte. Hatten die in Island nichts Besseres zu tun? Da war er aber gespannt. Wäre Joana nicht so besorgt gewesen, und würde nicht ihre Unruhe die Luft bitter schmecken lassen, so hätte ihn das alles ungemein erheitert. So aber blieb er in ihrer Nähe, lauschte ihren Flüchen und ließ sich von ihr beschimpfen. Ihren Worten zum Trotz sah sie ihn durchaus liebevoll an. Ihn, den Schatten, nicht seinen in einer Blutlache liegenden Körper, an dessen Seite sie blieb, als müsste sie ihn bewachen. Es fühlte sich gut an, wie freundlich sie zu ihm war, selbst im Schattenleib,

Weitere Kostenlose Bücher