Nybbas Nächte
nickte.
„Ich habe eine Bedingung. Ich hole euch die Informationen, die ihr braucht. Aber im Gegenzug besorgt ihr mir die, die ich will.“
Stille herrschte über das Haus. Nicholas war losgezogen, um Elias zu holen und seinen Dämon zu nähren. Tomte spielte im Wohnzimmer mit sich selbst Karten. Rut und Sunna waren einkaufen gegangen. In den nächsten Tagen sollte Joana bei Rut wohnen; nebst ihrer persönlichen Leibgarde, die aus Nicholas, Tomte sowie Elias bestand. Das Haus der Clerica erschien allen sicherer als ein Hotel, denn hier vermutete sie niemand. Rut hatte sich ohne Einspruch auf die Belagerung eingerichtet. Elias und Tomte waren im Gästezimmer einquartiert worden, und Rut vorübergehend zu Sunna gezogen, um Nicholas und Joana ihr Schlafzimmer zu überlassen.
Joana stand allein und von der Stille bedrückt vor dem blind gewordenen Spiegel, einen Verbandskasten neben sich. Die Wirkung der Medikamente hatte nachgelassen und ihr ganzer Körper schien aus Biss- und Kratzwunden zu bestehen. Vorsichtig zupfte sie an einer Ecke des Pflasters, das ihre Wange verdeckte, und riss es mit einem Ruck ab. Sie erinnerte sich inzwischen genau an das Gefühl, als die Krallen ihre Haut zerfetzt hatten. Die Hoffnung, dass es sich nur um Kratzer handelte, machte sie sich nicht, trotzdem war es ein Schock, als die frisch vernähte Wunde zum Vorschein kam. Sie zog sich nah am Haaransatz von der Schläfe am Ohr vorbei bis auf den Kiefer. Sie war tief. Eine hässliche Narbe würde zurückbleiben. Die danebenliegendenKlauenspuren auf der Wange waren dagegen nur oberflächlich und verharschten bereits. Joana hatte sich nie für eitel gehalten, doch die Aussicht, lebenslänglich von ihrem Spiegelbild an diese Nacht erinnert zu werden, trieb ihr Tränen aus den Augen, die auf den Kratzern brannten.
Lange hatte sie warten müssen, doch endlich kehrte Nicholas zurück und kam zu ihr. Sie drehte sich nicht zu ihm um, sah ihn nur durch den Spiegel an. Er wirkte ausgeruht. Der dunkle Schleier über seinen Augen war verschwunden. Sie verzichtete darauf, zu fragen, wie viele Menschen er um ihre Gefühle erleichtert hatte. Wichtiger war ihr in diesem Moment, dass es ihm wieder gut ging. Und wie er auf diesen wulstigen Streifen reagieren würde, der ebenjene Stelle ihres Gesichts verunstaltete, über die er bis gestern so gerne mit den Fingerspitzen gestrichen hatte.
Ihr Magen schien kiloschwer zu werden, während er sie durch den Spiegel lange musterte. Still und ernst. Er stand so dicht hinter ihr, dass seine Brust ihren Rücken berühren würde, wenn er tief einatmete. Aber er tat es nicht. Atmete er überhaupt?
„Sag etwas.“
Sein Schweigen war kaum auszuhalten. Sag, wie scheußlich es aussieht. Frag, ob es wieder weggehen wird. Dann werde ich dir sagen, dass es bleibt, und du wirst angeekelt das Gesicht verziehen.
Er sagte nichts. Stattdessen zog er ihren Rücken an seine Brust und verbarg sein Gesicht in ihrem Haar. Erst nach weiterem Schweigen flüsterte er etwas, das sie erst verstehen konnte, als er sich wiederholte.
„Verzeihst du mir?“
Sie wollte ihm sagen, dass es nichts zu verzeihen gab und dass es nicht seine Schuld gewesen war. Aber Nicholas brauchte sie nichts vorzumachen und erst recht nichts schönreden. Fakt war, dass sie unsagbar enttäuscht und wütend gewesen war, weil er ihr nicht geglaubt hatte. Hätte er ihr vertraut, wäre es nie zu dem Unfall und dem Angriff gekommen. Aber änderte es etwas, daran festzuhalten? Nein. Es fühlte sich besser an, sich an seinen tröstlich starken Körper zu drücken, so nickte sie bloß und zog seine Arme um sich. Sie schloss die Augen, als er ihr Gesicht berührte und mit der Spitze des Zeigefingers so dicht an der Verletzung vorbeistrich, dass er sicherlich schon die Hitze der Wundränder spürte. Seine andere Hand glitt auf ihre Hüfte und legte sich warm über eine der tieferen Bisswunden. Erstaunlicherweise linderte es das Pochen.
„Wie viel kannst du noch verzeihen, Joana?“
Die Frage beunruhigte sie. Er war am Abend so zornig gewesen, dass sie ihm alles zutrauen musste, so wenig sie dies auch wollte.
„Was hast du getan, Nicholas?“
„Mist gebaut. Fürchte ich.“
Er mied ihren Blick, machte sich daran, den Verband von ihrer Hand abzurollen und begutachtete die Krallenspuren auf ihrem Handrücken sowie die tiefen Wunden am Unterarm, die die Fuchszähne geschlagen hatten.
„Ich sorge dafür, dass diesen Mistviechern jeder Zahn bei lebendigem Leibe
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