Nybbas Nächte
einzeln ausgerissen wird“, knurrte er, küsste ihre Fingerknöchel und trug eine antiseptische Salbe aus dem Verbandskasten auf.
Dann nahm er einen neuen Verband aus der Verpackung.
Joana zog die Hand zurück. „Nicholas. Was ist letzte Nacht passiert? Wo warst du?“
„Ich war im Bett“, sagte er und klang dabei so niedergeschlagen, als handelte es sich um ein Bett zwei Meter unter der Grasnarbe. Er legte seine Lippen auf ihre Schulter und warf ihr im Spiegel einen knappen Blick zu. „In Elias’ Bett.“
Joana brauchte eine Weile, bis sich die Worte in ihrem Kopf zu einem Bild verwoben, das ihr viel weniger absurd erschien, als sie sich gewünscht hätte. Ein Bild von Elias, so vertraut mit Nicholas, wie es außer ihr niemand sein sollte. Die Eifersucht bohrte sich in ihr Herz, wie von säureartigem Speichel triefende Reißzähne.
„Du hattest Sex mit Elias.“
„Ja.“
„Oh.“ Der Laut sollte lapidar klingen, was kläglich misslang. „Dann hast du dich aber schnell getröstet.“
Er lächelte traurig. „Nichts habe ich. Wirf mir vor, dass ich es versucht habe. Ich wollte dich keinen Moment vergessen – ich wollte dich hassen. Aber glaube nicht, dass es mir gelungen wäre.“
Joana wandte sich ab und verließ das Badezimmer. Es war zu viel. Der Streit am Abend, der fast eskaliert und gefährlich geworden wäre. Der Unfall. Der Angriff der Füchse. Das Krankenhaus – dieses gottverdammte Krankenhaus! Der Blick in den Spiegel und in seine Augen, nachdem er zugab, sie betrogen zu haben, in ebenjenem Moment, da sie um ihr Leben kämpfte, und darum, sich nicht zu verlieren.
Schwer ließ sie sich auf Ruts Bett fallen und krallte die verletzte Hand in die karierte Oberdecke. Lavendelfarbenes Vichy-Karo. Altmodisch. Aber eigentlich ganz hübsch. Ihre Hand tat weh und ein paar TropfenBlut sickerten aus den Wunden in den Stoff. Auch hübsch.
Aus dem Augenwinkel erkannte sie Nicholas’ Statur im Türrahmen lehnen, finster und unbeweglich. In ihrem Kopf stand Elias neben ihm, legte ihm eine Hand an die Wange, während sie, zwei Meter und eine Welt entfernt, um Atem rang und blutete, bis die hübsche Decke und das ganze Bett in ihrem Blut versinken würden.
„Lass mich allein.“
Eine schier endlose Zeit passierte gar nichts. Dann, kurz bevor sie ihre Aufforderung lauter wiederholen konnte, verschwand er in einer schnellen, geschmeidigen Bewegung. Joana fühlte sich so einsam und kraftlos, dass es ihr nicht einmal mehr gelang zu weinen, geschweige denn ihn zurückzurufen. Obwohl sie beides wollte.
Als sie die Haustür zuschlagen hörte, stand sie schwerfällig auf und trat ans Fenster. Nicholas stapfte durch den Vorgarten in Richtung Straße. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, es war hinter seinem Haar versteckt, da er den Rücken gegen den Wind richtete. Im Schutz seines Körpers versuchte er sich eine Zigarette anzuzünden, was nicht auf Anhieb gelang. Seine Hand bebte.
„Warum machst du es mir so schwer, dich zu lieben“, wisperte sie.
Ihre Worte beschlugen die Scheibe, sodass Nebel zwischen ihr und ihm entstand. Nicholas ließ die Zigarette fallen, ballte die Faust und warf mit der anderen Hand sein Zippo von sich. Es landete in den Büschen eines Vorgartens einige Häuser weiter und schreckte ein paar Vögel auf.
„Und warum ist es mir unmöglich, es nicht zu tun?“
20
E
rst am Abend ging Joana wieder ins Wohnzimmer zu den anderen. Tomte hatte in dem aufmerksamen Elias einen würdigen Gegner für seine Kartenspiele gefunden. Rut stand am Herd und rührte in vier Töpfen zugleich. Sunna saß in der hintersten Ecke des Zimmers, Kopfhörer in den Ohren und den dicken Hund an sich gedrückt, und taxierte Elias wie eine essbare Beute. Beute, die jedoch jederzeit den Spieß umdrehen und selbst zum Jäger werden könnte. Sie trug Parfüm, dessen Odeur den Raum flutete, und war noch stärker geschminkt als üblich. Was das nun wieder zu bedeuten hatte?
Joana trat näher. Elias erhob sich und bat sie um ein Gespräch unter vier Augen. Als sie den Raum verließen, hätte Joana schwören können, dass Sunna für einen Moment den Mund verkniff.
Etwas unbehaglich beobachtete sie, wie Elias sich im Korridor an die Wand lehnte und die Spielkarten nervös zwischen seinen langen Fingern drehte. Sie versuchte, nicht daran zu denken, dass diese Finger Nicholas berührt hatten, aber es gelang ihr kaum. Erst nach einigen Minuten entnervenden Schweigens wurde sie sich bewusst, dass er sie beobachtete,
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