Obsession (German Edition)
Ähnlichkeit mit dieser Geistererscheinung, die sich bei uns im Wohnzimmer materialisiert hatte, wenn ich mich recht erinnere, wobei ich in diesem Moment nicht beschwören würde, dass er es wirklich war.
Ich habe absolut keine Ahnung, was dieser Typ hier macht, aber bevor ich versuchen werde, es herauszufinden, sollte ich unbedingt ein paar Meter Abstand zwischen ihn und mich bringen. Also stehe ich betont gelangweilt auf, sehe mich ziellos um und schlendere am Ausgang vorbei in Richtung der Europcar-Counter, wo ich mich, ein wenig hinter einer Reklametafel versteckt, der Tarnung halber erst einmal in einer langen Schlange anstelle, an deren Spitze eine junge, maximal zwanzigjährige Blondine versucht, einem älteren Asiaten zu erklären, dass er für die Anmietung seines gewünschten Modells zwei Kreditkarten braucht – was mich im Gegensatz zu den zehn vor mir Wartenden nicht aus der Fassung bringt, sondern mir Raum schafft, mich ausgiebig und in Ruhe der Aura des Käferketten-Typs zu widmen.
Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu lange in die Schwärze starre, die sich mir da entgegenwölbt, und mein Verdacht ist bestätigt. Der Bodybuilder an der Säule scheint definitiv zu den »Kindern der Isis« zu gehören, er scheint definitiv gefährlich und ziemlich skrupellos zu sein, und außerdem hat er ziemlich viel Leid auf seinem Gewissen.
Mehr wollte ich gar nicht wissen, und mehr habe ich auch nicht gesehen, bis auf die Tatsache, dass der Typ nicht besonders helle ist, und dass nicht ich sein Ziel bin – aber, wer dann?
Meine Antwort lässt nicht lange auf sich warten, denn noch bevor der Asiate endlich seinen Leihwagen bekommen hat und mit dem Schlüssel in der Hand an mir vorbeiläuft, als würde er das olympische Feuer gen Athen tragen und die Nächste in der Warteschlange gerade nach Sonderangeboten fragt, öffnet sich die mittlere der drei Schiebetüren und ein Mann kommt heraus, an den ich mich noch sehr gut erinnern kann und dessen bloße Anwesenheit Grund genug für mich ist, sämtliche Wahrnehmungen abzuschalten und mich in mich selbst zu verkriechen – Dr. Carlos Alfaya.
Als ich bemerke, dass er nicht nach mir sucht, nutze ich die Gelegenheit, dass es in der Schlange wieder ein bisschen weitergeht, und spähe über die Reklametafel. Carlos trägt einen dieser längst aus der Mode gekommenen grauen Leinenanzüge, in denen ich ihn so oft gesehen habe, ein weißes Hemd, das wie gewohnt unter den Armen und am Kragen durchgeschwitzt ist – hey, sogar mir ist heiß, schließlich ist es Sommer, und Carlos’ Schweißbildung war schon immer recht ... heftig. ›Kein Wunder bei der Körperbehaarung‹, denke ich und muss trotz allem grinsen.
Immerhin war Carlos mal mein bester Kunde, bis er sich als Sektenmitglied der »Kinder der Isis« geoutet, Brix und mir Schläger auf den Hals geschickt und mir geraten hat, ihm meinen Freund besser auszuliefern, bevor er ihn sich holen kommt. Damit waren dann die Fronten klar, und da Brix sowieso keine Chance mehr hatte, in Berlin jobmäßig voranzukommen, haben wir uns eben anderweitig umgesehen – und sind über das »Addiction« gestolpert.
By the way, mir fällt auf, dass Carlos anscheinend wirklich immer noch nicht mit den modischen Weiterentwicklungen unserer Welt klarkommt. Er trägt nämlich auch heute eine seiner Krawatten, Marke »Vatermörder«, Herstelldatum vermutlich 1968 bis 1970, mit breiten lila Karos und grünen Punkten auf ockerfarbenem Hintergrund, die aus so dickem Stoff sind, dass jeder normal gebundene Knoten wie ein Kloß am Hals sitzt – und Carlos trägt diese Krawatten bevorzugt. Seine grauen Haare sind inzwischen schulterlang, sein Bart ist gepflegt, und wie mir ein kurzer Blick auf die Brusttasche seines grauen Anzuges verrät, ist da nicht nur das obligatorische rosa Einstecktuch, sondern auch seine Brille mit dem dicken braunen Horngestell enthalten. In der Hand trägt er seine alte abgegriffene Aktentasche, die mich immer an meinen Klassenlehrer erinnert und mindestens für die Klausurenhefte von drei Klassen gleichzeitig Platz bot. Den Alutrolley, den er hinter sich herzieht, scheint er frisch vom Gepäckband geklaut zu haben, denn er passt so gar nicht zu Carlos’ Outfit.
Carlos schaut sich suchend um, während der Muskelfuzzi aus seiner Lethargie erwacht – ist es nicht so, dass Steroide einschläfernd wirken? – und förmlich auf ihn zustürmt, ihm die Hand schüttelt, den Trolley aus der anderen Hand reißt und in Richtung
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