Obsession
Straßenseite gegangen war, um ihnen nicht in die Quere zu kommen, war der Streit plötzlich ausgeartet.
Er hatte gesehen, wie ein Mann auf die Knie fiel und die anderen auf seinen Kopf wie auf einen Fußball eintraten. Das dumpfe
Krachen seines auf den Bürgersteig schlagenden Schädels war selbst auf der anderen Straßenseite zu hören gewesen. Dann hatte
sich die Schlägerei auf die Straße verlagert, und als Ben mit ansehen musste, wie einer der Männer mit beiden Füßen auf den
Kopf des Liegenden sprang, war er davongelaufen.
Er hatte danach nie etwas über diese Schlägerei gehört, er war aber davon überzeugt gewesen, dass er gesehen hatte, wie ein
Mensch getötet worden war, und hatte sich elend gefühlt. Er hatte sich dafür gehasst, nichts unternommen zu haben, und genauso
hasste er sich jetzt.
Du bist ein Feigling.
Er sah die Szene wieder vor sich, nur war dieses Mal Cole der Angreifer und er selbst die Gestalt am Boden. Als er an die
Decke des Schlafzimmers starrte, war er sich so sicher, wie |248| man es nur zu dieser Stunde sein konnte, dass es nie eine gütliche Einigung zwischen ihnen beiden geben würde. Der Soldat
hatte sich aller Hemmnisse entledigt, von denen die meisten Menschen unter Kontrolle gehalten wurden. Sollte Ben weiterhin
versuchen, Jacob zu sehen, würde irgendwann, wenn niemand in der Nähe war, um einzuschreiten, eine Sicherung bei ihm durchbrennen.
Und wenn das geschah, so wusste Ben, würde Cole nicht aufhören, ehe er tot wäre.
Um sechs Uhr warf er die Bettdecke zurück und stand auf. Draußen war es noch dunkel. Er schaltete das Licht an und versuchte
das wirre Gefühl abzuschütteln, das ihn immer noch verfolgte. Er gönnte sich eine längere Dusche als üblich und wurde unter
den heißen Wasserstrahlen sofort müde. Erst wollte er zurück ins Bett gehen, doch er wusste, dass er sich schlechter denn
je fühlen würde, wenn er dann in ein oder zwei Stunden wieder aufstand.
Er ging hinunter, machte das Radio an und setzte Kaffee auf. Jacob hatte immer gern das Morgenprogramm im Fernsehen angeschaut,
aber Ben konnte es jetzt nicht ertragen. Er aß am Küchenfenster stehend eine Schüssel Cornflakes, während er auf den Toast
wartete. Am Himmel war ein blasser Streifen zu sehen, aber sonst deutete nichts darauf hin, dass es hell werden könnte. Er
stellte die Schüssel in die Spüle und strich Sonnenblumenmargarine auf den Toast. Sarah hatte ihn von Butter abgebracht, und
er hatte noch immer ein schlechtes Gewissen, wenn er etwas auch nur entfernt Cholesterinhaltiges auf sein Brot strich.
Nachdem er mit dem Frühstück fertig war, war es fast sieben Uhr. Er musste erst am späten Vormittag im Atelier sein, um Modeaufnahmen
für ein Magazin zu machen. Bis dahin konnte er nur die Zeit totschlagen. Er schenkte sich eine weitere |249| Tasse Kaffee ein und setzte sich an den Küchentisch. Die Salz- und Pfefferstreuer standen noch genau an der Stelle, wo er
sie am vergangenen Abend abgestellt hatte. Am anderen Ende des Tisches war ein Ring von einem Kaffeebecher, den er am Morgen
zuvor beinahe umgekippt hätte. Er hatte ihn wegwischen wollen, es aber vergessen. Der Fleck würde dort bleiben, bis er etwas
dagegen unternahm. Er schaute sich in der Küche um. Alles würde genau so bleiben, wie es war, wenn er es nicht veränderte.
Es gab niemanden, der mit ihm schimpfte, weil er nicht abgespült hatte, niemanden, der einen Stuhl verrücken oder auch nur
einen Löffel verlegen würde, außer ihm.
Mit schmerzhafter Deutlichkeit wurde ihm klar, wie allein er war.
Er fragte sich, warum er sich nicht eine kleinere Wohnung suchte. Das Haus war viel zu groß für ihn, und die leeren Zimmer
erinnerten ihn nur an das, was er verloren hatte. Er hatte auch keine sentimentale Bindung zu dem Haus. Es gehörte zu dem
Leben, das er mit Sarah geführt hatte, und dieses Leben war vorbei. Es wäre wesentlich sinnvoller gewesen, es zu verkaufen
und eine Wohnung zu nehmen, die groß genug für eine Dunkelkammer war, aber nicht so groß, dass er sich darin verloren vorkam.
Es war Zeit, weiterzuziehen, mit der Vergangenheit abzuschließen und sich ein neues Leben aufzubauen, statt im Schatten des
alten zu leben.
Und warum tust du es nicht?
Er konnte diese Frage nicht beantworten. Genauso wenig konnte er erklären, warum er das alte Spielzeug und die Sachen von
Jacob behielt, welche die Coles nicht haben wollten, anstatt sie wie Sarahs
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