Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)
Waschbecken war kaum genug Platz für die Füße. Ich stellte den Rucksack so gut wie möglich auf den Beckenrand und zog die Kleidung heraus, die ich am Morgen für diesen Anlass eingepackt hatte.
Ergreif Deine Chance! , hatte die neueste Mail von Miss Mulligan gelautet. Zeig beim Bates-Interview Deine wundervolle, einzigartige Persönlichkeit, mit der Du Dich von der Masse der Bewerber abhebst. Deine Kleidung sollte erwachsen und möglichst unvergesslich aussehen (d. h. raus aus der Schuluniform). Mach Dich schick! Style Dich auf! Alle anderen Mädchen sollen tot umfallen vor Neid!
Eine Minute später hatte sie eine zweite Nachricht hinterhergeschickt.
Entschuldige meine gutgemeinten, aber furchtbar unsensiblen Ermunterungsworte am Schluss. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Ich wünsche Dir auf jeden Fall viel Glück! – KM
Was ich brauchte, war kein Glück, sondern ein ganz neues Leben. Da ich das nicht bekommen würde, musste ich das Beste aus einer unerfreulichen Situation machen. Ich hatte also Kleidung gewählt, in der ich präsentabel, wenn auch nicht gerade unvergesslich aussah. Mein Ziel war es nicht, fürs College ausgewählt zu werden. Ich wollte nur gerade einen so guten Eindruck machen, dass diese Bates-Person einen positiven Bericht über mich schrieb und Miss Mulligan mir nicht weiter im Nacken saß. Später konnte ich mir immer noch einen Grund ausdenken, mich nicht wirklich zu bewerben.
Jetzt zog ich mich schnell um, streifte mir einen engen schwarzen Rock und eine weiße Bluse über. Passend dazu hatte ich ein schwarzes Kaschmirjäckchen mit Perlmuttknöpfen gewählt. Ich stopfte die Schuluniform und den Kapuzenpulli in meinen Rucksack, band mir einen ordentlichen Pferdeschwanz und griff nach dem Wasserhahn. Da sah ich den Zettel.
Tut mir schrecklich leid … Am liebsten würde ich das hier gar nicht schreiben …
Ich hatte mich vorgebeugt, um mir Wasser ins Gesicht zu spritzen, als mein Blick auf die ausgedruckte E-Mail fiel. Der Zettel lag zusammengefaltet auf dem Rand des Waschbeckens, und das Papier sah aus, als sei es schon viele Male gelesen worden.
Ich wünschte, alles hätte anders enden können … Wir passen einfach nicht zusammen …
Der Zettel musste dem Jungen gehören, der vor mir die Toilette benutzt hatte. Bei dieser Nachricht war es kein Wunder, dass er so verstört ausgesehen hatte. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, weil ich ungewollt in seine Privatsphäre eingedrungen war, und schaute schnell weg.
Als ich mir das Gesicht mit einem Papierhandtuch abtrocknete, klopfte es an der Tür. Ich hob meinen Rucksack auf, faltete den Zettel so, dass nur die unbeschriebene Seite zu sehen war, und steckte ihn hinter die Flüssigseife. Jetzt würde er kaum auffallen, wenn man nicht direkt danach suchte, aber leicht zu sehen sein, falls der Junge ihn wiederhaben wollte.
Zurück im Café, entdeckte ich mit flauem Gefühl im Magen einen Mann, der eine weinrote Bates-Mappe vor sich auf dem Tisch liegen hatte und offensichtlich auf mich wartete. Er schaute abwechselnd auf sein Smartphone und suchend durch den Raum.
Meine Kontaktperson war also männlich. Aus irgendeinem Grund hatte ich mir immer eine Frau vorgestellt, als ich mir zurechtgelegt hatte, was ich auf die üblichen Fragen antworten wollte. Schlimmer noch, der Mann war ziemlich jung. Mit einem großväterlichen Typ wäre ich vielleicht zurechtgekommen, aber dieser hier trug ultramoderne dunkelgraue Jeans zu einem herbstbraunen Wollmantel und schien knapp über dreißig zu sein.
Während ich auf ihn zuging, versuchte ich einen Blick auf seine rechte Hand zu erhaschen. Ich konnte nur hoffen, dass er verheiratet war und seine Frau abgöttisch liebte.
»Vanessa Sands?« Er stand auf und hielt mir die Hand entgegen.
Kein Ehering.
»Ich bin Matt Harrison.« Nachdem wir uns begrüßt hatten, bot er mir einen Stuhl an und rempelte dabei gegen die Lehne der Frau hinter sich. Sie warf ihm einen genervten Blick zu, bevor sie Platz machte, aber er merkte es nicht einmal. »Freut mich, dich kennenzulernen.«
»Ganz meinerseits.« Ich setzte mich und kam mir in meinem erwachsenen, unvergesslichen Outfit idiotisch vor.
»Kann ich dir etwas anbieten? Kaffee? Tee? Kuchen?«
»Ich möchte nichts, danke.« Am anderen Ende des Raums sah ich Paige, die am Tresen stand und darauf wartete, etwas zu bestellen. Als sie meinen Blick bemerkte, hielt sie aufmunternd beide Daumen hoch.
»Okay«, sagte er, setzte sich ebenfalls und beugte sich
Weitere Kostenlose Bücher