Öffne deine Seele (German Edition)
befragen. Und dieses verfluchte Pressefoto, auf dem mir der Wahnsinn aus den Augen sprach, setzte allem noch mal die Krone auf.
Ich war darauf gefasst gewesen, mich verteidigen zu müssen. Doch Albrecht hatte mich ins Leere laufen lassen.
Befangen.
Ich starrte geradeaus. Meine Augen brannten.
Seit zehn Jahren arbeitete ich inzwischen für Jörg Albrecht. Das Revier war beinahe ein zweites Zuhause für mich geworden, und so wie die Dinge im Moment lagen, war es sogar mehr ein Zuhause als das Haus in Seevetal.
Ich schloss die Lider.
An der Wohnzimmertür vorbei hatte ich mich aus dem Haus geschlichen. Ohne ein Wort, ohne Nachricht.
Ich war enttäuscht, ich war stinksauer.
Und ich war entsetzt über mich selbst, als ich in diesem Moment etwas feststellte: Viel mehr noch als mein eigener Ehemann hatte Jörg Albrecht mich enttäuscht. Dennis und ich kannten einander. Wir hatten gelernt, mit den Schwächen des anderen zu leben. Ja, wir sprachen zu wenig miteinander, gingen immer wieder davon aus, dass der andere schon irgendwie verstehen würde.
Und die Spinnerei, mir anzuhängen, dass ich mit Marius gesprochen hätte, obwohl er selbst genau das getan hatte, war eine der typischen Aktionen, mit denen man bei Dennis rechnen musste.
Er hatte mit der Sache zwischen Merz und mir noch nicht abgeschlossen. Es war typisch für ihn, dass er überhaupt nicht auf die Idee gekommen war, dass es mir anders gehen könnte.
Dennis’ Verhalten passte ins Bild.
Anders als Albrechts Reaktion.
Jörg Albrecht war hart. Es gab niemanden in der Abteilung, der den Mann nicht schon zig Mal zum Teufel gewünscht hatte.
Doch gleichzeitig hätte ich ihn gegen keinen anderen Vorgesetzten eintauschen wollen.
Weil ich wusste, dass Albrecht nicht im Traum auf die Idee kommen würde, von einem von uns irgendwas zu verlangen, zu dem er nicht selbst doppelt und dreifach bereit war.
Er war fair. Er war immer fair gewesen.
Bis heute.
Ich stützte den Kopf in die Hände, zog sie überrascht zurück.
Sie glänzten feucht.
***
Der Hauptkommissar blickte auf die Tür, die sich hinter Friedrichs geschlossen hatte.
Ich habe einen Fehler gemacht, dachte er. Und ich habe ihn sehenden Auges begangen.
Wenn ihm irgendwann während der vergangenen vierundzwanzig Jahre eine finstere Macht die Frage gestellt hätte, ob es ihm wichtig sei, was seine Mitarbeiter für ihn empfanden, hätte er ohne Zögern antworten können.
Wirklich wichtig ist nur eine Sache: Loyalität.
Das war es, was er von den Kollegen erwartete – und was sie umgekehrt auch von ihm erwarten konnten.
Aber Sympathie?
Ein müdes Lächeln huschte über seine Mundwinkel. Er wusste, was Heiner Schultz antworten würde.
Diese Frage stellt sich nicht.
Doch er war nicht Heiner Schultz. Er war Jörg Albrecht.
Er sah ein Bauernhaus in Ohlstedt vor sich, das nicht mehr ihm gehörte. Er sah eine Frau mit dunklem Teint und langen dunklen Haaren und zwei kleine Mädchen, die längst keine kleinen Mädchen mehr waren.
Er sah, was er verloren hatte.
Sechs trostlose Monate hatten ihm die Leere deutlich gemacht.
Eine Leere, die ihm nur ein einziger Umstand erträglich gemacht hatte: Diese Leere war endlich gewesen. Da war etwas gewesen, wohin er zurückkehren konnte – mitsamt der Lehre, die er aus der Leere gezogen hatte.
Es besser zu machen. Sich mehr Mühe zu geben mit den Kollegen und Mitarbeitern.
Er war zurück.
Und ihm wurde klar, dass er etwas zerstört hatte.
Jörg Albrecht schloss die Augen, nahm zwei, drei schwere Atemzüge.
Dann griff er nach dem Telefonhörer.
«Irmtraud? Geben Sie mir das Büro der Polizeipräsidentin.»
***
Das Smartphone lag neben mir auf dem Beifahrersitz.
Ich war unterwegs nach Duvenstedt – Todesfallermittlungen haben immer Vorrang –, und Duvenstedt war ziemlich weit draußen.
An jeder Ampel schielte ich rüber zur Sitzfläche, doch das Handydisplay blieb dunkel.
Ich wusste, dass Dennis früher oder später anrufen würde.
Ja, er war ein Idiot, doch er war mein Idiot.
Und so viel mehr.
Doch anscheinend war der Zeitpunkt noch nicht gekommen, als ich den Dienstwagen in die Zufahrt eines ehemaligen Bauernhofs am Rande von Duvenstedt lenkte.
Hier draußen konnte man vergessen, dass man sich eigentlich noch in Hamburg befand. Das Gebiet der Walddörfer, der äußerste Norden der Freien und Hansestadt, reicht wie eine ausgestreckte Zunge nach Schleswig-Holstein hinein.
Dennis’ Makleragentur hatte über die Jahre etliche Objekte in
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