Oelspur
wie Sie ja schon sagten, gibt es Hafenstaatkontrollen, also Inspektoren wie Ihren Schwiegervater, die die großen Handelsschiffe auf Hochseetauglichkeit und technische Mängel prüfen. Wir wollten Ihren Schwiegervater fragen, ob es hier Fälle von Korruption gegeben hat. Also mal salopp gesagt: ob von hier aus irgendwelche Schrottkähne auf die Weltmeere losgelassen werden?«
»Ja«, sagte Elena, »das halte ich für absolut denkbar. Ich sagte Ihnen ja, dass Korruption schon zu Zeiten der Sowjetunion ein großes Problem war, und seitdem sich alles nur noch um Profit dreht, ist es sicher schlimmer geworden.«
Bakarov gab ein ungehaltenes Krächzen von sich, und Elena begann, unser Gespräch in langsamen russischen Sätzen zusammenzufassen. Dann drehte sie sich zu uns um und sagte:
»Nun gut, und jetzt sagen Sie mir bitte, warum Sie das wissen wollen!«
Anna zögerte und überlegte offenbar, ob sie den Bakarovs überhaupt eine Erklärung geben sollte, angesichts der Tatsache, dass sie uns sowieso nicht weiterhelfen konnten. Ich nickte ihr zu.
»Vor etwa zwei Wochen«, sagte Anna, »ist meine Schwester gestorben. Sie lag tot in einer Hamburger Saunakabine. Die Polizei glaubt an eine natürliche Todesursache, aber wir denken, dass sie ermordet wurde. Sie war Journalistin und hat über etwas recherchiert, das mit Öl, Schiffszertifizierungen, Umweltkatastrophen und sehr viel Geld zu tun hat. Meine Schwester hatte eine Information bekommen, dass es eine Verbindung zwischen Schweizer Bankkonten, Ölkatastrophen und Ventspils gibt. Es sollen Schmiergelder geflossen sein, um für schrottreife Schiffe Hochseezertifikate zu erhalten. Eine Spur führt nach Ventspils, es wird ein Mann namens Krisjanis Udris erwähnt.«
Bei der Erwähnung des Namens zuckten Bakarov und seine Schwiegertochter wie elektrisiert zusammen und starrten uns ungläubig an.
»Kennen Sie jemanden, der so heißt?«, fragte ich.
Elena nickte.
»Der Name ist in Letland nicht ungewöhnlich, aber ich kenne einen Krisjanis Udris, der seit Tagen in den Schlagzeilen der lettischen Zeitungen ist.«
Sie stand auf, ging zur Garderobe und kam mit einem Notebook zurück, das sie auf dem Tisch platzierte.
»Ich habe die Onlineversion der wichtigsten Tageszeitung von Ventspils hier drauf. Schauen Sie, hier …«
Ein paar Mausklicks später konnten wir Udris ins Gesicht sehen. Es war auf einem Schwarz-Weiß-Foto auf der Titelseite einer Zeitung abgebildet. Ein Mann etwa Anfang fünfzig mit einem unauffälligen, rundlichen Gesicht und schütteren Haaren, darunter eine fette Schlagzeile, die wir natürlich nicht verstanden.
»Er ist spurlos verschwunden«, sagte Elena, »möglicherweise entführt worden.«
Anna und ich saßen einfach nur da, sahen uns an und konnten es nicht glauben. Wir waren wieder zu spät gekommen. Angst, Enttäuschung und Wut verdichteten sich zu einem Kloß in meinem Hals.
»Können Sie übersetzen, was da steht?«, fragte Anna.
Elena drehte das Notebook wieder in ihre Blickrichtung.
»Die Schlagzeile heißt: Noch keine Spur von Hafeninspektor.«
Dann ging sie den Artikel kurz durch und gab uns eine Zusammenfassung.
»Krisjanis Udris ist vor drei Tagen nicht zur Arbeit erschienen. Er hat ein Büro im Gebäude der Freihafenverwaltung. Seine Mitarbeiter haben ein paar Stunden auf seine Krankmeldung gewartet, und weil er telefonisch nicht zu erreichen war, ist schließlich jemand zu ihm nach Hause gefahren. Es gab Probleme im Hafen, und sie brauchten ihn. Augenscheinlich war in sein Haus eingebrochen worden. Die Verandatür war von außen eingeschlagen, das Arbeitszimmer völlig verwüstet. Von Udris selbst fehlte jede Spur. Er lebte allein, seine geschiedene Frau wurde von der Polizei vernommen, konnte aber nichts Erhellendes beitragen, außer dass er mit den Unterhaltszahlungen im Rückstand war. Eine Lösegeldforderung oder einen Kontakt zu den Entführern gab es bisher nicht. Die Polizei äußerte sich besorgt.«
»Weißt du, was das bedeutet?«, fragte ich Anna.
Sie nickte.
»Wenn Udris vor drei Tagen entführt worden ist, können die Leute vom Schiff nichts damit zu tun haben.«
»Na ja, rein theoretisch könnten sie hier in Ventspils zugeschlagen haben, dann mit dem Flugzeug nach Hamburg und von da wieder mit der Fähre hierher zurückgekommen sein. Zeitlich wäre es machbar, aber ich glaube es nicht.«
»Nein«, sagte Anna düster, »sie haben hier auch Leute, die sich um die Drecksarbeit kümmern. Die sind überall. Jaeggi
Weitere Kostenlose Bücher