Offenbarung
Tod.
Rachmika ging in die Hocke, stellte sich das Familien-Notepad auf
die Oberschenkel, klappte es auf und zog den Schreibstift aus dem
Schlitz an der Seite. Es war keine bequeme Stellung, aber ein paar
Minuten lang würde sie schon zu ertragen sein.
Sie begann zu zeichnen. Der Stift glitt mit sicheren,
schwungvollen Strichen über den Bildschirm. Ein exotisches Wesen
nahm Gestalt an.
Linxe behielt Recht: So frostig der Empfang auch gewesen sein
mochte, die Karawane bot ihnen immerhin zum ersten Mal in drei Tagen
Gelegenheit, den Eisjammer zu verlassen.
Rachmika war überrascht, wie sehr sich das auf ihre Stimmung
auswirkte. Nicht genug damit, dass die Verfolgung durch die
Gendarmerie von Vigrid ihre Schrecken verloren hatte, auch wenn die
Frage, warum man sie verfolgt hatte, sie weiterhin
beschäftigte. Man atmete auch freier, und jeder Luftzug brachte
neue und interessante Düfte mit, die angenehmer waren als der
Mief im Innern des Eisjammers.
Und man konnte sich die Beine vertreten: Der Wagen war hell
erleuchtet und sehr geräumig, mit breiten, hohen Gängen und
gut ausgestatteten Zimmern. Alles war blitzsauber, und sie konnten
– trotz der wenig freundlichen Begrüßung – von
sämtlichen Annehmlichkeiten profitieren. Sie erhielten zu essen
und zu trinken, konnten ihre Kleider waschen und bekamen endlich
Gelegenheit zu angemessener Körperpflege. Sogar für
Unterhaltung war gesorgt, wobei Rachmika die Angebote nicht
sonderlich reizvoll fand. Sie war Besseres gewöhnt. Aber man
lernte neue Leute kennen und sah fremde Gesichter.
Mit der Zeit erkannte sie, dass ihr erster Eindruck falsch gewesen
war. Der Quästor und Crozet waren sicherlich keine
Herzensfreunde, aber bald stellte sich heraus, dass sie einander in
der Vergangenheit schon den einen oder anderen Dienst erwiesen
hatten. Die schroffe Begrüßung war nur Schau gewesen,
dahinter verbarg sich ein eisiger Kern gegenseitigen Respekts. Der
Quästor war auf Schnäppchenjagd und ahnte, dass Crozet noch
etwas in der Hinterhand hatte, was er gebrauchen konnte. Crozet
wiederum hatte es auf mechanische Ersatzteile und andere Tauschwaren
abgesehen.
Rachmika wollte ursprünglich nur bei einigen der
Verhandlungen anwesend sein, aber sie sah rasch, dass sie Crozet in
bescheidenem Rahmen behilflich sein konnte, und setzte sich mit einem
Blatt Papier und einem Stift an ein Ende des Tisches. Das Notepad
durfte sie nicht mitbringen, es hätte ja eine Software zur
Stimmstressanalyse oder ein anderes verbotenes System enthalten
können.
Rachmika machte sich Notizen zu den Objekten, die Crozet verkaufen
wollte. Ihre Handschrift wie ihre Skizzen wirkten wie gedruckt,
darauf war sie immer stolz gewesen. Ihr Interesse an der Ware war
nicht gespielt, aber ihre Anwesenheit diente noch einem anderen
Zweck.
Zur ersten Sitzung waren zwei Einkäufer gekommen. Später
stieß manchmal ein dritter oder vierter dazu. Der Quästor
oder einer seiner Stellvertreter saßen als Beobachter immer
dabei. Jede Sitzung begann damit, dass einer der Einkäufer
Crozet fragte, was er denn zu bieten hätte.
»Wir suchen nicht nach Flitzerantiquitäten«, sagten
sie beim ersten Mal. »Daran haben wir keinerlei Interesse. Wir
wollen menschliche Artefakte von dieser Welt. Keinen Jahrmillionen
alten Schrott, sondern Dinge, die im vergangenen Jahrhundert auf Hela
zurückgelassen wurden. Die Nachfrage nach nutzlosem
Alien-Krempel sinkt, seit alle reichen Sonnensysteme evakuiert
werden. Wer will schon seine Sammlung vergrößern, wenn er gleichzeitig alle Wertgegenstände loszuschlagen
versucht, um einen einzigen Kälteschlafplatz bezahlen zu
können?«
»Was denn für menschliche Artefakte?«
»Alles, was sich verwenden lässt. Die Zeiten sind
schlecht: Die Leute wollen keine Kunst und keinen Krimskrams,
allenfalls noch als Glücksbringer. Gesucht werden
hauptsächlich Waffen und Überlebenssysteme, Dinge, von
denen man sich einen Vorteil erhofft, wenn einen die Bedrohung
einholt, vor der man davonläuft. Geschmuggelte
Synthetikerwaffen. Demarchistische Panzerungen. Alles, was
seuchenfest ist, lässt sich immer gut verkaufen.«
»Ich handle in der Regel nicht mit Waffen«, sagte
Crozet.
»Der Markt wandelt sich, Sie werden sich anpassen
müssen«, erwiderte einer der Männer grinsend.
»Steigen die Kirchen jetzt in den Waffenhandel ein? Wie
lässt sich das denn mit der Heiligen Schrift
vereinbaren?«
»Die Menschen wollen sich schützen, wie kommen wir dazu,
ihnen das zu
Weitere Kostenlose Bücher