Okarina: Roman (German Edition)
mich zu Ende dachte. Aufgebracht zu Ende brachte. Wütend über mich, enttäuscht von mir. Immer, im Guten wie Bösen, hatte ich die polnische Abteilung meines Lebens in Beziehung zu dessen anderen Teilen gesetzt. Doch diesmal nicht. Nicht in der Abteilung Jochen Bantzer. Kein Schimmer schien in mir zu sein von dem, wie es ist, wenn man eingebuchtet ist. Kein Dunst davon, wie einer in die Buchte geraten kann. Keine Ahnung von der Hoffnung, es werde dir einer doch wohl helfen. Keine Erinnerung, daß mir welche geholfen hatten.
Das war etwas anderes? Bantzer hat sich selber in seine Lage gequatscht? Dem hat sich das, was kommen mußte, angekündigt? Du selbst hast ihn gewarnt? Der betrifft dir nich, wie die alte Frau aus Cottbus zum Verkehrspolizisten sagte; weil: Er ist aus Jüterbog? Dieses fällt nicht in deine Zuständigkeit, da zur Zeit in deine Zuständigkeit der Aufbau einer Zeitschrift fällt? Die Entwicklung des Loseblatt-Unternehmens O KARINA , eines Organs für Kommunikations-Angelegenheiten regionaler, internationaler und nationaler Art, das für das Gedeihen von Soscholismus in een dütschen Deel von Bedeutung ist? Da kann doch, unter so Valmy-ähnlichen Umständen, der Jochen Bantzer in Brandenburg nicht von solcher Bedeutung sein?
Das klingt nicht gut und ist doch nur Beschönigung. In Wahrheit habe ich so aufwendig nicht gedacht. Ich habe alles getan, was hier beschrieben steht, aber damit war es getan. Ichnahm mich meiner Arbeit an. Von deren Wichtigkeit wußte ich; von anderen Wichtigkeiten weniger. Nicht daß ich von denen nichts wissen wollte; ich wußte sie nicht. Ich war total besetzt von mir.
Beim Ummarsch, der gedacht war, beschwerliche Lasten abzuwerfen, schienen dies unpassende Gedanken zu sein. Beim Aufmarsch, dessen Teilnehmer anstatt den Geist zu ruinieren, diesen freisetzen wollten, schon gar. Beim Umzug, der trotz der ausgreifenden Route keinem die Physis abkasteite, erst recht. In einer Kundgebung, die spontanem Auflauf glich und nicht etwa einer Zwangskolonne, mittels welcher am Spalier aus Musketen vorbei fünfhunderttausend Steine für weitere babylonische Wachtürme herangeschleppt wurden. Kolumne vielmehr, die in lautem Einvernehmen den Fels hügelan drückte und dabei die Puste hatte, einmal muß es doch gelingen! zu singen. Was erstaunlich nicht nur wegen des beträchtlichen Weges vom Alex zum Alex war, sondern auch insofern, als man das Lied des Genossen Sisyphos schon bei ähnlichen Gelegenheiten gesungen hatte.
Unpassend mögen die Gedanken gewesen sein, unerklärlich waren sie nicht. Wieder einmal hatte ich mich mit einem Ideenschwall vor bestimmten Ideen schützen wollen. Vor der Besorgnis z. B., es könne der Gedanke aufkommen, ich wolle, wo ich den Aufzug vom November schildere, als ein Geselle etwa von Jochen Bantzer gelten. Im Sinne von Gefährte oder gar Leidensgefährte. Wo ich es nicht einmal im Sinne von Geselligkeit, nimmt man einen bestimmten Ratskeller aus, jemals gewesen bin.
Vermutlich lief Bantzer, ehemals Jüterbog, im Zuge mit, weil er eine andere Republik wollte. Keine Jüterbogsche, sondern die ganz andere womöglich. Ich lief, und zwar als beobachtender ehemaliger Chef von O KARINA , neben den Demonstranten her, weil ich die eine von den beiden Republiken, nämlich meine, anders wollte. Die andere wollte ich auf keinen Fall. Ehe Jochen Bantzer, zeitweilig Brandenburg an der Havel, Ähnliches einfallen und er mir folgen würde, um es mir auf den Kopf zuzusagen, sollte ich, sagte ich mir, meiner Wege gehen. Nicht in den Park zu Karl und Fritz und meinen junonischenAnverwandten, sondern zum Bahnhof, von dem aus man, welch ein zum Umzug passender unentfremdeter Umstand war dies doch, zu weiteren Bahnhöfen fahren konnte.
In andere Spur gewechselt, nimmt man Spuren anders wahr. Als hätte es des Aufwands von einer halben Million Menschen bedurft, sah ich die Cremer-Bronzen vorm Roten Rathaus mit neuen Augen. Nicht so sehr die des Aufbauhelfers als die der Aufbauhelferin. Aus Gründen, die ich für natürliche hielt, sah ich sie so. Es schien mir eine Figur zu sein, wie sie entsteht, wenn neben einem Künstler wie Cremer ein Kenner wie Folgenreich Huldig steht. Jener formte ein Ideal aus, dieser pochte auf Realismus. Nur bei der Treue gewisser Details trafen sie sich. Zu der damals heftig diskutierten Frage, ob dermaßen viel Saft und Kraft und aktivistisches Schaufelschultern zur Gräue der Zeit, zum Staub in der Luft und zu den Krumen im Brotkorb stimmten
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