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Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)

Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)

Titel: Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cendrine Wolf , Anne Plichota
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gegenseitig an Bedrohlichkeit überbieten zu wollen. Die Wellen brachen sich ohrenbetäubend laut an der Bohrinsel, der Wind pfiff um die Stützpfeiler, und die gesamte Plattform ächzte und seufzte. Doch trotz der entfesselten Naturgewalten konzentrierten sich alle auf den Trainer, einen Mann mit straffem, muskulösem Körper.
    Das körperliche Training, vorwiegend Kampfsportarten und Selbstverteidigung, richtete sich an die Gruppe der »Aale«, wie der Meister sie getauft hatte. Sie bestand aus Sträflingen, ehemaligen Militärs, Auftragskillern und dergleichen und verschaffte Orthons Armee einen unleugbaren physischen und strategischen Vorteil. Doch die zweite Gruppe – die der »Oktopusse« – stand ihnen in nichts nach: Ihr gehörten neben einer Reihe genialer Hacker und Finanzjongleure auch die zum Teil wegen ihrer unethischen Praktiken verurteilten Genetiker und Neurophysiker an. Während die Aale schweißgebadet Kriegsschreie ausstießen, saßen die Oktopusse am Computer oder arbeiteten in den hochmodernen Labors, die das gesamte vierte Stockwerk des riesigen Wohngebäudes einnahmen.
    Gregor hörte Markus Olsen zu, der ihnen erklärte, wie man sich in einer Menschenmenge unsichtbar machte oder sich der Aufmerksamkeit so erfahrener Leibwächter wie ihm selbst entzog. Olsen war wirklich ein Glücksgriff. Er war wegen Mordes an dem Staatschef eines ehemaligen Ostblocklandes zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden und zusätzlich in weitere Morde an hochrangigen Politikern verstrickt. Es wäre wirklich zu schade gewesen, ihn im Butyrka-Gefängnis vermodern zu lassen!
    Gregor staunte über die pädagogische Begabung des ehemaligen Häftlings. »Ihn zu befreien, war wirklich eine gute Idee«, murmelte er anerkennend.
    Sein Blick fiel auf Tugdual, der reglos neben der Tür stand. Das Haar des Jungen war mittlerweile ganz kurz geschnitten, was seine erschreckende Blässe betonte und ihm die Möglichkeit nahm, sein Gesicht hinter den Haaren zu verstecken, wie er es so gern getan hatte. Mit undurchdringlicher Miene beobachtete er die trainierenden Männer und Frauen.
    Er war der Einzige auf der
Salamander
, der sich nicht von der allgemeinen Hochstimmung anstecken ließ. Obwohl Orthon ihn eindeutig bevorzugte, setzte sich Tugdual immer wieder gegen ihn zur Wehr. Doch jedes Mal konnte Orthon ihn davon überzeugen, dass alles, was er tat, nur zum Besten seines Lieblingssohnes geschah.
    Gregor machte sich nichts vor: Sein jüngerer Halbbruder übertraf ihn um ein Vielfaches. Während er der Sohn einer Von-Draußen war, war Tugdual ein echter Von-Drinnen, besaß unschätzbare Fähigkeiten und hatte dazu noch ein Huldvolles Herz.
    Bei diesem Gedanken verfinsterte sich die Miene von Orthons älterem Sohn. Nachdem Mortimer das Lager gewechselt hatte, hatte Gregor sich schon gefreut, nun als einziger Sohn ganz allein die Gunst seines Vaters genießen zu können. Er würde seine rechte Hand werden, sein Vertrauensmann, und eines Tages, wenn die Zeit gekommen war, sein Nachfolger. So war der Lauf der Dinge. Aber dann war aus heiterem Himmel Tugdual aufgetaucht, und Orthon hatte sich von ihm, Gregor, abgewandt. Nun galt die Aufmerksamkeit seines Vaters nur noch diesem Wunderknaben. Doch trotz seiner Bitterkeit blieb Gregor seinem Vater bedingungslos ergeben.
    Tugdual, der sich beobachtet fühlte, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand. Er ging durch die Gänge aus Stahl, stieg die Wendeltreppe in den fünften Stock hinauf und betrat eines der kleinen, aber luxuriös eingerichteten Zimmer. Er blickte auf das Fenster, gegen das Regen und Gischt peitschten, und sang dabei leise vor sich hin.
    I’m frozen to the bones, I am.
    …
    I’m waiting for the call, the hand on the chest
    I’m ready for the fight … and fate
    …
    I want to feel the pain and the bitter taste
    Of the blood on my lips … again
    Dann erstarrte er plötzlich, als hätte er einen Muskelkrampf. Sekunden später öffnete sich die Tür, und Orthon trat ein. Leise zog er die Tür hinter sich zu und blieb hinter Tugdual stehen. Der Junge wusste, wer da war, er brauchte sich nicht umzudrehen.
    »Komm mit, mein Sohn«, sagte Orthon und trat zu Tugdual. »Ich habe eine ganz besondere Aufgabe für dich.«
    Sein Griff war unerwartet sanft, aber dennoch fest. Tugdual blieb nichts anderes übrig, als ihm zu gehorchen. Er schauderte, blickte noch einen Moment auf das sturmgepeitschte Meer hinaus und drehte sich dann um. Die beiden musterten sich eine Weile

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