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Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)

Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)

Titel: Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cendrine Wolf , Anne Plichota
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flüchtete sich Gus häufig dorthin. Und genau dort traf Oksas Anderes Ich ihn nun an. Instinktiv wollte sie auf ihn zustürzen, sein Kinn in die Hand nehmen, ihm in die Augen sehen und laut rufen: »Ich bin da, Gus! Ich bin da!« Er hätte sie zwar nicht gehört, aber vielleicht hätte er ihre Anwesenheit gespürt. Doch ihr Anderes Ich zwang sie, ihm fernzubleiben. Erst musste es die Lage beurteilen, deshalb blieb sie oberhalb des verwüsteten Raums in der Schwebe und beobachtete ihn.
    Als Gus sich die Haarsträhne zurückstrich, die einen Teil seines Gesichts verbarg, konnte sie sehen, wie hart die vergangenen Wochen für ihn gewesen sein mussten. Seine hohlen Wangen ließen sein Kinn noch kantiger wirken und seine Augen hatten ihr reines Meerblau verloren; es war, als hätte sich ein dunkler Schleier darübergelegt. Obwohl er einen dicken Wollpulli trug, war nicht zu übersehen, wie mager er geworden war. Seine Hände hatten vom vielen Hämmern, Reißen, Schleifen, Kleben und Reparieren all dessen, was die Stürme und Überschwemmungen zerstört hatten, dicke Schwielen bekommen. Es tat Oksa weh, ihn so zu sehen. Er nahm den Kopf in die Hände und stöhnte leise. Da gab das Andere Ich nach und ließ sie zu ihm.
    Genau in dem Moment, als sie die Hand ihres Freundes streifen wollte, ging die Zimmertür auf und Kukka kam herein. Obwohl niemand sie sehen konnte, wich Oksa rasch zurück.
    »Alles in Ordnung, Gus?«, fragte Tugduals Cousine leise.
    »Schon okay. Es fühlt sich bloß so an, als würde sich irgendein teuflisches Gerät in meinen Schädel bohren.«
    Mit gemischten Gefühlen beobachtete Oksa, wie das Mädchen Gus mitleidig ansah und sich neben ihn setzte. Kukka warf ihre langen blonden Haare nach hinten. Obwohl auch sie abgemagert und sichtlich entkräftet war, ließ sich nicht leugnen, dass sie immer noch wunderschön war.
    »Diese miesen Chiropter haben jedenfalls alles getan, um mich fertigzumachen«, sagte Gus.
    Kukka legte ihm die Hand auf den Arm. Und ließ den Kopf an seine Schulter sinken. Und Gus wehrte sich gar nicht dagegen! Wie konnte das sein?
    »Sobald sich die Lage wieder einigermaßen beruhigt hat, bringt Andrew dich zu den besten Ärzten«, sagte Kukka betont munter.
    Gus antwortete nicht. Er hob nur den Kopf und lehnte ihn an die Wand. Seine Züge entspannten sich ein wenig, als Kukka sich noch enger an ihn schmiegte.
    »Du weißt genauso gut wie ich, dass kein Arzt auf dieser Welt irgendetwas für mich tun kann«, sagte er schließlich. »Seit ich von diesem Totenkopf-Chiropter gebissen wurde, ist mein Schicksal besiegelt. Und obwohl ich eine Bluttransfusion von einem Mauerwandler bekommen habe, bin ich doch so gut wie tot. Meine einzige Rettung wäre eine Mischung aus dem Saft einer irren Pflanze, einem Stein, den es nirgendwo gibt, und dem Rotz eines Geschöpfes, das sich an menschlichen Gefühlen berauscht. Ich möchte ja nicht pessimistisch klingen, aber ich schätze, dass ich ziemlich schlechte Karten habe. Den Langlebigkeitsrekord werde ich jedenfalls nicht brechen.«
    Oksa erstarrte. Unter anderen Umständen mochte das Andere Ich eine absolut geniale Fähigkeit sein. Doch jetzt bereitete es ihr nur großen Kummer, weil sie nur zuschauen, aber nicht eingreifen konnte.
    »Du wirst es schaffen«, sagte Kukka. »Alles andere ist undenkbar. Wer würde sonst stundenlang mit mir Schach spielen?«
    Ihre Worte trafen Oksa wie Giftpfeile. In Tausenden von Kilometern Entfernung – in einer anderen Dimension – lag sie in ihrem Bett und litt Höllenqualen, als wäre sie wirklich in ihrem Zimmer am Bigtoe Square, neben Gus und diesem … diesem Mädchen . Jetzt war geschehen, was sie insgeheim lange schon befürchtet hatte: Sie hatte eine Rivalin. Und das machte sie fast verrückt! Warum unternahm das Andere Ich denn nichts? Warum zog es nicht an den wunderschönen Haaren dieses wunderschönen Wesens, verpasste ihm einen sagenhaften Knock-Bong und beförderte es ans andere Ende der Welt? Und seit wann spielte Gus überhaupt Schach? Bestimmt hatte sie es ihm beigebracht, diese blonde Schlange.
    »Morgen hast du Geburtstag«, sagte Gus. »Zu Ehren dieses Festtags könntest du mich mal gewinnen lassen, oder?«
    »Das müsstest du dir erst verdienen!«
    Oksa sah Gus lächeln und ballte die Fäuste.
    »Weißt du was? Ich bin auf den Tag genau vor zwölf Jahren von Olof und Lea adoptiert worden. Am Tag vor meinem vierten Geburtstag«, fuhr Kukka fort.
    Kukka war adoptiert worden! Wie Gus! Das war

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