Olympos
hing e gen beginnen bereits zu hungern, und dabei steigt ihnen auch noch der Geruch der Schweine und Rinder in die Nase, die über den trojanischen Belagerungsfeuern geröstet werden. Helena und K ö nig Priamos waren schon vor zwei Tagen davon übe r zeugt, dass die Griechen besiegt würden, aber verzweifelte Männer sind ta p fere Männer – Männer, die nichts zu verlieren haben –, und die Griechen haben wie in die Enge getriebene Ratten gekämpft. D a bei profitierten sie von den kürzeren Innenlinien und den befe s tigten Verteidigungsanlagen, aber diese Vorteile werden zugeg e benermaßen von kurzer Dauer sein, denn ihnen geht die Nahrung aus, es gibt keine kontinuierliche Wasserversorgung – die Troj a ner haben den Fluss anderthalb Kilometer vom Strand entfernt gestaut –, und der Typhus beginnt sich in dem überfül l ten und unhygienischen Achäerlager auszubreiten.
Agamemnon beteiligt sich nicht an den Kämpfen. Seit drei T a gen versteckt sich der Atride, König von Mykene und Oberb e fehlshaber dieser einstmals riesigen Expeditionstruppe, in seinem Zelt. Helena hat mir berichtet, dass Agamemnon wä h rend des umfassenden Rückzugs der Griechen verwundet worden ist, aber wie ich von Hauptleuten und Wachposten hier im Lager erfahren habe, ist es nur ein gebrochener linker Unterarm, nichts Leben s bedrohliches. Allerdings scheint Ag a memnons Moral tödliche Verletzungen davongetragen zu haben. Der große König – Achi l les ’ Erzfeind – war nicht imstande, Menelaos ’ Leichnam zu be r gen, nachdem sein Bruder von dem Pfeil ins Auge getroffen und niedergestreckt worden war, und während Diomedes, der große Ajax und die anderen gefallenen griechischen Helden im Rahmen gebührender Bestattungsfeie r lichkeiten in der Nähe des Ufers auf ihren hohen Bahren ve r brannt worden sind, hat man Menelaos ’ Leichnam zuletzt g e sehen, als er hinter Hektors Streitwagen um die von jubelnden Menschen bevölkerten Mauern Iliums g e schleift wurde. Das scheint dem hypernervösen, arroganten Ag a memnon den Rest gegeben zu haben. Statt sich zornentbrannt in den Kampf zu stürzen, ist er in Melancholie versunken und ve r schließt die Augen vor der Realität.
Die anderen Griechen wissen auch ohne ihren Führer, dass sie um ihr Leben kämpfen müssen. Ihre Befehlsstruktur ist arg au s gedünnt – der große Ajax tot, Diomedes tot, Menelaos tot, Achi l les und Odysseus jenseits des geschlossenen Bran-Lochs ve r schwunden –, aber der geschwätzige alte Nestor hat wä h rend der letzten beiden Tage bei fast allen Kämpfen das Kommando g e führt. Der einst verehrte Krieger wird wieder verehrt, zumindest von den sich lichtenden Reihen der Achäer; er erscheint auf se i nem von vier Pferden gezogenen Streitwagen, wo immer die gri e chischen Linien nachzugeben drohen, drängt Grabenbauer, Pfähle zu ersetzen und eingestürzte Bereiche neu auszuheben, die inn e ren Gräben mit Sandwällen und Schie ß scharten zu verbessern, schickt Männer und Jungen nachts als Späher aus, um den Troj a nern Wasser zu stehlen, und ermu n tert die Männer beständig, nicht den Mut zu verlieren. Nestors Söhne, Antilochos und Thrasymedes, die sich während der er s ten zehn Jahre des Krieges und während des kurzen Krieges gegen die Götter kaum je als heldenhafte Krieger profilieren konnten, haben in den letzten zwei Tagen großartig gekämpft. Thrasymedes wurde gestern zweimal verwundet, einmal von einem Speer, dann noch einmal von einem Pfeil in der Schulter, aber er hat weitergekämpft und an der Spitze seiner pylischen Brigaden eine trojanische Offensive abgewehrt, die den Verteidigungshalbkreis an dieser Stelle in zwei Teile zu zerschneiden drohte.
Es ist kurz nach Sonnenaufgang am dritten Tag – höchstwah r scheinlich dem letzten Tag, denn die Trojaner waren die ganze Nacht hindurch in Bewegung, haben ihre Truppen umgru p piert und weitere Soldaten und Streitwagen sowie Gerätscha f ten zur Überbrückung der Gräben herbeigeschafft –, und mehr als hu n derttausend ausgeruhte trojanische Soldaten sammeln sich um die äußere Verteidigungslinie, während ich spreche.
Ich habe den Recorder in Agamemnons Lager mitgebracht, weil Nestor einen Rat seiner überlebenden Heerführer einber u fen hat – zumindest derjenigen, die an ihren Frontabschnitten entbehrlich sind. Diese müden, schmutzigen Männer ignorieren meine Anw e senheit – oder vielmehr, sie erinnern sich wah r scheinlich daran, dass ich während des
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