Oneiros: Tödlicher Fluch
Flatterband, und Polizisten mit Gasmasken stiefelten zwischen den Leibern umher. Die Marrakschi schienen der Meinung, dass eine Gasmaske im abgeriegelten Areal ausreichte, obwohl niemand sagen konnte, ob es sich um ein Gas, Bakterien oder ein Virus gehandelt hatte. Jenseits des dünnen Plastikstreifens herrschte jedoch kaum Angst. Die Neugierigen drängen sich, Kamerateams und Fotografen dokumentierten den Massentod.
Thielke zoomte den alten Mercedes dicht heran und fotografierte Bouler, das zerstörte Kästchen und die umherliegenden Ringe.
Nicht das Werk von lokalen Plünderern. Sie hätten alles mitgenommen.
Der Narko hatte etwas gesucht, ein bestimmtes Schmuckstück aus der Sammlung des Franzosen. Nur warum, das konnte er sich nicht erklären.
Könnte natürlich auch Korff gewesen sein.
Er senkte die Kamera und betrachtete die Umgebung mit seinem gesunden rechten Auge. Der Umstand, dass er vor dem Laden entdeckt worden war, war der Auslöser für diese Katastrophe gewesen. Er war mitschuldig an diesem Massensterben.
»Das hätte alles nicht so laufen sollen«, murmelte er betroffen. Er hatte Arctanders tödlichen Fluch mit Hilfe seiner kleinen Erfindung blockieren und ihm gut zureden wollen: Es gab eine Schlaftechnik, die den Schnitter
nicht
anlockte und die man erlernen konnte. Thielke beherrschte sie, und er freute sich über jeden, der mit seiner Unterstützung versuchte, sie ebenfalls zu erlernen. Das Angebot offerierte er lediglich ausgesuchten Personen.
Diese Option erlosch für Arctander. Den Zwischenfall mit dem Flugzeug hatte er noch als einen unglücklichen Einzelfall ansehen können, aber Arctander strapazierte sein Glück zu sehr, indem er immer wieder dicht besiedelte Städte aufsuchte. Und was daraus wurde, sah man auf dem Djemaa el Fna. Die Schlafkrankheit des Narkos war unkontrollierbar.
Die ersten Transporter rollten auf den Platz, stießen rückwärts in eine schmale Gasse zwischen den Leichen, die die Einsatzkräfte für sie geschaffen hatten. Dicht vorbei an den Schuhen, den Fingerspitzen, den Gliedmaßen der Toten fuhren sie. Soldaten marschierten aus einer Seitenstraße, gekleidet in ABC -Schutzausrüstung, und machten sich daran, die Toten zu den Lkws zu schleppen. Hochhieven, ablegen.
Thielke konnte sich vorstellen, wie überfordert die großen Geheimdienste der Welt genau jetzt waren. Aufgelöst und aufgescheucht würden sich die Mitarbeiter gegenseitig anschreien, Al Qaida, Nazis, Anarchisten und weitere sinnlose Begriffe durcheinanderwarfen, nach Gasrückständen und Viren suchen, ohne fündig zu werden.
Dabei war die Lösung ebenso einfach wie unglaublich: Der Tod hatte blindlings um sich geschlagen, um Arctander zu treffen.
Thielkes Hand schloss sich fester um den Batteriegriff der Nikon. Er war zu langsam gewesen. Er
hätte
es verhindern können, ohne dem Narko durch den Kopf zu schießen. Mit der Maschine, die sich in seiner Tragetasche befand. Selbst erfunden und selbst gebaut. Mit ihr blockierte er die verheerenden Hirnwellen der Todesschläfer, wenn auch nur auf kurze Distanz.
Ein befreundeter Neurologe, mit dem er sich über die neuesten Erkenntnisse der Schlafforschung unterhielt, brachte ihn auf die richtige Spur: veränderte Hirnwellenmuster. Thielkes Theorie nach wurde der Tod durch besondere Wellen angelockt, also musste man diese Muster verändern.
Nach sehr langen Recherchen über das Gehirn und Manipulationsmöglichkeiten war er auf die transkraniale Magnetstimulation gestoßen. Neurologen setzten das Gerät zur Prüfung von Nervenbahnen ein: Elektrische Impulse wurden von außen auf das Hirn abgefeuert und regten gezielt bestimmte Bereiche an. Die Reaktionsgeschwindigkeit gab Aufschluss über den Zustand der Nerven.
Thielke hatte sich daraufhin eine handliche Version eines TMS -Apparats bauen lassen, die für mehrere Sekunden einen Dauerimpuls abgab. Es genügte, um die Wellen der Todesschläfer zu verändern. Folglich gab es kein Signal, dem der Schnitter folgen konnte.
Aber diesmal war ich zu langsam.
Unauffällig zog er sich zurück, als er sah, dass Männer mit europäischem Aussehen erschienen, die von einem Offizier des marokkanischen Militärs geführt wurden.
Die westlichen Geheimdienste rückten an und glaubten mit Sicherheit, dass hier die gleichen Attentäter wie ihn Paris am Werk gewesen waren, womit sie nicht einmal falschlagen. Ebenso sicher würden die Medien bald über eine neue, noch unbekannte Terrorgruppe spekulieren, die es auf
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