Oneiros: Tödlicher Fluch
liebsten würde ich verschwinden, Korff. Das ist mir zu verworren.«
Konstantin schüttelte den Kopf. »Ich verspreche Ihnen, dass ich Ihnen später alles erkläre, aber jetzt brauchen wir die Steine. Bitte, Frau Herbst!«
Etwas in seinen Augen oder seiner Stimme schien sie zu überzeugen. Marna zog langsam eine Schatulle aus der Tasche, öffnete sie und schüttelte den Inhalt auf den Tisch. Mehrere geschliffene und rohe Steine sowie zwei Ringe kullerten heraus, drohten vom Tisch zu fallen, bis Thielke sie einfing und auf einen Haufen schob.
»Der Inhalt von Massimo Auros Tresor«, kommentierte sie. »Ich habe die Steine analysieren lassen, auf Wert und Beschaffenheit.« Sie zog gefaltete Blätter aus der Seitentasche und breitete sie aus. »Der Gesamtwert beläuft sich auf hundertachtzigtausend Euro.«
»Ich schaue, ob sich etwas Geeignetes für Señor Arctander darunter befindet.« Sastre hatte am Kopfende des Tisches Platz genommen. Sie nahm einen Stein nach dem anderen in die Hand, schloss die Augen und rieb ihn. Dasselbe machte sie mit den beiden Ringen. Gelegentlich warf sie einen Blick auf die Analysewerte.
Sie warteten gespannt, auf welchen Stein ihre Wahl fallen würde.
Sogar Marna stellte keine Fragen. Sie hatte die Arme vor der Brust gekreuzt und sah erstaunt und fasziniert zu, was die Ärztin trieb. Aber nach fünf Minuten berührte sie Konstantin am Arm und zog ihn zum Schott.
»So. Ich habe Ihnen einen Gefallen getan, bin zu einer Unbekannten ins Auto gestiegen und habe mich in einen Bunker verschleppen lassen. Mich beschleicht der Eindruck, dass ich mich unter Menschen befinde, die merkwürdiger als Hoya sind. Und damit untertreibe ich noch«, flüsterte sie ihm zu. »Was meint sie mit
geeignet?
Was geschieht hier, Korff?« Sie sah ihn ernst an.
Das war unvermeidlich.
Konstantin erwiderte ihren Blick offen. »Das kann ich in dieser knappen Zeit nicht erklären. Wirklich nicht. Wir haben gerade keine vier bis fünf Stunden, um Ihnen …«
»Korff!«, brüllte Thielke. »Scheiße, kommen Sie her! Helfen Sie mir mit dem Narko!«
Konstantin und Marna wandten sich zum Tisch.
Arctander lag auf dem Boden, die Arme und Beine verkrampft. Er keuchte schwer und versuchte, etwas zu sagen. Die Kataplexie verhinderte, dass er formulieren konnte. Thielke versuchte, ihn in eine angenehmere Position zu schieben, doch seine Beinbehinderung beeinträchtigte ihn.
Er bekommt einen Anfall!
Konstantin sah zu Sastre, die ihre Augen geschlossen hatte und einen ungeschliffenen Rohstein mit den Fingerkuppen hielt. Er nahm Marnas Hand und zerrte die überraschte Frau hinter sich her, zog sie dicht neben die Ärztin. »Sie bleiben hier stehen«, sagte er und hoffte, dass Sastre sie schützen könnte. Der Versuch, sie aus der Reichweite des Schnitters herauszubringen, konnte nur schiefgehen. Die Kraft von Arctanders Fluch mochte inzwischen Hunderte von Metern weit reichen. Er vertraute lieber auf den beschwichtigenden Effekt, den Sastre in ihrer Praxis bereits unter Beweis gestellt hatte.
Marna ließ seine Hand los. »Warum soll ich …?«
»Tun Sie es einfach, wenn Sie nicht sterben wollen!«, schrie er sie an und bückte sich, um nach Arctander zu sehen. »Bent! Bent, reiß dich zusammen! Wo sind deine Medikamente?«
Arctander wimmerte und röchelte unverständlich.
»Lassen Sie ihn«, sagte Sastre leise. »Er soll den Schnitter herbeirufen. Dann kann ich ihn und den Stein verbinden.« Sie öffnete die Augen, erhob sich und kam zu ihnen, presste den Opal gegen Arctanders Stirn. »Geben Sie nach. Geben Sie sich dem Schlaf hin und rufen Sie seinen Bruder in unsere Mitte.«
Die Lider des Mannes flatterten und schlossen sich –
und das grelle Knistern erklang!
Konstantins Gesicht verzog sich vor Abscheu. Das Geräusch wurde mit jedem Mal intensiver, bohrte sich schmerzhaft in seinen Kopf. Ihm wurde eiskalt, er spürte Panik in sich aufsteigen und eine Ohnmacht nahen. Die Lampen flackerten, sogar das Licht floh vor dem Tod.
Der Stein auf Arctanders Stirn leuchtete schwach und schien die letzte Helligkeit im Raum aufzusaugen. Die Adern schimmerten in der Haut, das Blut darin pulsierte, sein Schädel wurde gleich einer Röntgenaufnahme immer durchsichtiger, bis man sogar das Gehirn des Narkoleptikers erkannte. Der Tod schien ihn zu sehen und regelrecht zu scannen.
Konstantins Nackenhaare richteten sich auf, eine Gänsehaut überzog seinen Körper. Durch das Krachen und Bersten von Millionen von Eisschollen
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