Oneiros: Tödlicher Fluch
einen seiner Leute los, der den Koffer holte, vor seinem Chef ablegte und ihn öffnete. Darin lagen stapelweise violettfarbene 500 -Euro-Scheine. 100 000 Euro für einen Trip nach Kanada.
Ihr eigentliches Reiseziel kannten die
Zetas
nicht. »Und? Wo ist der Vogel?«
Trejo grinste breit und öffnete über sein Headset einen Kanal zum Piloten, gab ihm die Anweisung, auf dem »Flughafen Mier« zu landen und sich anschließend sofort wieder zum Start bereitzumachen. »Ich bringe dich zum Terminal«, sagte er lachend zu Kristin und machte eine Geste, die seine Leute zurück in den Humvee scheuchte.
Kristin verließ die Veranda, stieg in den Ramcharger und folgte den Verbrechern, die durch die Straßen rasten, als würden sie sich ein Rennen mit ihr liefern.
Dabei bekam sie einen drastischen Eindruck von dem unbarHmerzigen, gleichgültigen Terror, den die
Zetas
verbreiteten: Sobald der Mann am Maschinengewehr ein Ziel sichtete, sei es ein Tier oder ein Wagen, der ihren Weg kreuzte, eröffnete er das Feuer. Munitionshülsen flogen im hohen Bogen davon, knallten als metallischer Hagel auf den Ramcharger.
Der zweite Mann am Granatwerfer versuchte unverzüglich, das Ziel des MG -Schützen zu zerlegen, bevor er es treffen konnte.
Wo die großkalibrigen Geschosse einschlugen, verschwand die Umgebung in einem Blitz und einer Explosionswolke, die aus Staub, Metallfetzen, Holz oder Steinstücken bestand – und häufig genug auch aus Blut und Fleischbrocken, je nachdem, was sie getroffen hatten.
Kristin schaltete schließlich die Wischer ein, um die MG -Hülsen und den Dreck von der Scheibe zu bekommen. Das Mitleid in ihr stieg, ändern konnte sie nichts. Außerdem waren die
Zetas
wie alle anderen Kartelle gewissenlose Schergen, die sie brauchte. Mit ihrer Hilfe hatte sie bereits zwei Todesschläfer entführt. Mister Estevez gehörte unter anderem dazu.
Trejos Truppe hinterließ eine qualmende Spur der Zerstörung, einen toten Menschen, neun zerplatzte Hunde und Katzen und neue Einschusslöcher in nahezu allen Häuserfronten, die sie passierten. Dann hatten sie
Carretera Federal 54
beinahe erreicht.
Das bestellte Flugzeug zog im Landeanflug mit kreischenden Triebwerken über Kristin hinweg, ein Learjet 40 , der sie in knapp drei Stunden nach Toronto bringen würde.
Sie fühlte sich gut. Gleich würde sie die Annehmlichkeiten der klimatisierten Kabine genießen, sich dringend notwendige Hallo-Wach-Tabletten einwerfen und ein wenig mit Fernsehen entspannen.
Wirklich schlafen – sofern es ihr die Insomnie gewährte – könnte sie erst in Minsk, notfalls mit Anästhetika. Doch vorher musste sie noch die Besprechung in Paris mit einer weiteren Aspirantin auf einen Doktorposten absolvieren. Möglicherweise konnte sie die Dame direkt einladen.
Der Humvee bremste plötzlich ab und hielt an, bevor er den Schutz der Querstraße, die irgendwas mit
Palacios
hieß, verließ. Die zerschossenen Schilder an den Hauswänden konnte man nicht mehr lesen.
Der Typ am MG wechselte den Patronengurt, auch der Schütze am Granatwerfer verfiel in hektische Tätigkeit.
»Was zum … Hey!«, rief Kristin und stoppte ebenfalls. Sie wollte die Tür öffnen, um Trejo zu fragen, was das sollte. Sie fürchtete nicht um ihr Leben. Da die
Zetas
noch öfter Geld mit ihr verdienen wollten, war sie sicher. Nachverhandlungen womöglich? Ein kleiner Nachschlag? »Hey, Trejo! Was soll das?«
Da tauchte ein Stück rechts von ihnen ein Mann in einer Wüstentarnuniform an der Biegung auf, der ein M 16 im Anschlag hatte und einen Helm trug; auf seinem Ärmel sah Kristin das mexikanische Wappen. Er kniete sich unbemerkt von den
Zetas
im Schutz einer Mauer nieder und sprach in sein Funkgerät.
»Scheiße!« Kristin wusste, was das bedeutete: Das Militär unternahm einen Versuch, Ciudad Mier von den Drogenbaronen zu säubern. Und ein millionenteurer Jet war ein lukratives Ziel für eine Armee, die sonst wenig Erfolge gegen die Kartelle errang.
Der Soldat erhob sich wieder und zog sich langsam zurück.
Kristin lehnte sich aus dem Fenster und schrie den MG -Schützen an. »Hey, ihr, rechts, Militär!« Der Kerl rief ihr etwas zu, was sie nicht verstand. Aber offensichtlich waren weder seine Waffe noch der Granatwerfer einsatzbereit. Das sinnfreie, sadistische Rumgeballere hatte die Munition ausgehen lassen.
Der Humvee setzte plötzlich zurück und rammte den Dodge.
Kristin wurde in den Gurt geschleudert, dann legte sie fluchend den Rückwärtsgang ein
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