Operation Genesis (Ein Delta-Team-Thriller) (German Edition)

mit einer Schusswaffe konnte sie nicht umgehen.
    Sara wischte sich eine an der Stirn klebende Haarsträhne aus dem Gesicht. »Sinnesverarbeitungsstörung. Oder sensorische Integrationsstörung. Je nachdem, mit wem man gerade redet. Es ist eine neurologische Störung, was bedeutet, dass niemand sie bisher so richtig versteht.«
    Die Strähne fiel ihr wieder in die Stirn. Ungeduldig wischte sie sie beiseite. »Gehirn und Nervensystem bestehen aus Milliarden von Neuronen – erregungsleitenden Nervenzellen. Sie kommunizieren untereinander durch synaptische Übertragung. Chemische und elektrische Impulse – elektrochemische Signalwege. Mittels sensorischer Neuronen steht der Körper im Dialog mit dem Verstand und überträgt Informationen oder Stimuli, die unser Körper erfährt. Wenn ein Sinnesorgan, beispielsweise das Ohr, etwas wahrnimmt, senden Neuronen diese Signale auf Wegen ins Gehirn, die in frühester Jugend angelegt werden. Stellen Sie sich die Wege als Bahngleise vor. Solange wir Kinder sind, lassen sich die Weichen noch bewegen, aber wenn wir älter werden, rosten sie fest. Und manchmal bleiben sie in der falschen Richtung hängen, so dass ein Teil der Informationen, die vom Ohr übertragen werden, in dem Teil des Gehirns ankommt, der physische Berührungen interpretiert. Ein Großteil der Daten nimmt seinen richtigen Lauf – ich kann ja hören –, aber oft spüre ich ein Geräusch gleichzeitig auch auf der Haut.
    Klingt vielleicht ganz interessant für einen Außenstehenden, aber das sieht man anders, wenn man jedes Mal, wenn man Parfüm riecht oder es regnet, von Kopfschmerzen heimgesucht wird. Ich höre entfernte Geräusche, alswären sie dicht neben mir. Eine Autohupe ist wie ein Schlag gegen die Brust. Wenn ich einen hübschen Hund sehe oder ein Baby, tut mir der Gaumen weh.«
    »Das ist… unheimlich.«
    »Es ist vor allem lästig.«
    »Es hat uns ein paar Mal das Leben gerettet.«
    Saras Miene hellte sich auf. War das ein Kompliment? Bevor sie fragen konnte, wechselte King das Thema.
    »Wenn sie aufwacht«, sagte er und deutete erst auf Queen, dann auf ihre Stirn, »erwähnen Sie nichts von …«
    Eine Faust knallte hart gegen Kings linke Schulter. Er stöhnte. Queen setzte sich neben ihm auf. »Behandle mich nicht wie eine jämmerliche Heulsuse, King. Und untersteh dich, es einfach zu ignorieren.«
    Wie sich herausstellte, war das unmöglich. Das frische Brandmal hob sich grellrot von ihrer weißen Haut ab.
    »Wie sieht es aus?«, fragte Queen.
    King und Sara sahen mit unwillkürlicher Neugier hin. King wollte sagen, dass es Antibiotikasalbe benötigte. Vielleicht etwas Aloe. Etwas, das es … besser machte. Aber es war Sara, die genau die richtigen Worte fand.
    »Es sieht richtig gemeingefährlich aus.«
    Queen hob die Hand und betastete das Brandmal. Sie zuckte zusammen. »Tut höllisch weh.« Damit war das Thema erledigt. »Wie geht’s weiter?«
    King sah Sara an. Sie beide sahen Sara an.
    »Ich werde die Blutprobe analysieren.«
    »Und dann?«, fragte King.
    »Wenn sie etwas taugt… wenn sie brauchbar ist, dann nichts wie weg aus Dodge City.«
    Queen hob eines der AK-47 auf, die sie von den getöteten VPLA-Soldaten erbeutet hatte, und inspizierte es. »Und falls nicht?«
    »Bleiben wir hier. Bis wir eine Lösung finden.« Sara blickte sie an. »Oder sterben.«
    Queen lachte. »Seien Sie vorsichtig, Pawn. Wenn Sie zu lange mit uns herumhängen, wächst Ihnen noch ein Satz Eier. Und dann will King bestimmt nichts mehr von Ihnen wissen.« Sie kicherte in sich hinein und wandte sich ab. »Ich halte Wache.«
    Nach einem schnellen, unbehaglichen Blickwechsel mit King machte sich Sara an die Arbeit. Sie öffnete ihren Rucksack und zog die Ausrüstung heraus. Das Fläschchen mit der Blutprobe. Ihren Laptop. Und einen kleinen, batteriebetriebenen Virentester. Es war eines der handlichen Geräte, die das CDC im Feldeinsatz benutzte und von deren Existenz die meisten Krankenhäuser noch nicht einmal etwas ahnten.
    Sara fuhr den Laptop hoch. Der Bildschirm leuchtete auf, dann erschien der Linux-Pinguin und eine digitale Tonfolge erklang. Eine surreale Stille senkte sich über den Dschungel. Vögel hörten auf zu singen, das Summen der Insekten verstummte. Das fremde Geräusch eines hochfahrenden Laptops war hier ungewöhnlicher als Explosionen oder Gewehrschüsse, die von den wilden Tieren normalerweise einfach ignoriert wurden. Sara achtete nicht darauf und arbeitete weiter. Sie stöpselte den