Opfer der Lust
Treffen ausgewählt zu haben.
Sie brauchte fast eine halbe Stunde, um einen Parkplatz am Straßenrand zu finden. Etwas genervt eilte sie durch die Nebenstraßen, um rechtzeitig zum vereinbarten Zeitpunkt am Phillips Point einzutreffen.
Daryl hatte einen Fuß auf die niedrige Kaimauer gestellt und spähte auf das Meer hinaus. Wieder einmal dachte Beth, dass er wie ein Fels in der Brandung war, denn um ihn herum tobten ausgelassen Kinder, doch er ließ sich nicht von ihnen irritieren, sondern er schien in sich selbst zu ruhen und genoss den Ausblick.
Er wirkte ausgeglichen und sie hoffte, dass dies auch so bleiben würde. Bei ihrem letzten Zusammentreffen – als sie die Beziehung beendet hatte – war er furchtbar wütend gewesen. So hatte sie ihn bis dahin nicht gekannt. Aber war seine heftige Reaktion wirklich so verwunderlich gewesen? Schließlich hatte sie ihn verletzt.
In den letzten Wochen hatte er Zeit gehabt, seine Wunden zu lecken. Sie war guter Dinge, dass sie sich vernünftig würden unterhalten können.
Bethany verdrängte den Gedanken, dass Kade sie gewarnt hatte, sich mit Daryl zu treffen, und schritt auf ihn zu.
„Hallo“, begrüßte sie ihn und lächelte freundschaftlich. „Schönes Wetter, wir haben Glück.“
„Wie man es nimmt.“ Daryl lachte und wich zwei Jungen aus, die Fangen spielten. Er küsste Beth auf die Wange. „Ich habe vorsorglich einen Tisch für uns im Seahorse bestellt, weil ich mir schon dachte, dass es heute voll wird. Es liegt gleich um die Ecke. Sie hatten aber nur noch einen Tisch für vier Uhr dreißig, wir müssen also sofort hingehen. Glaubt man der Werbung, die an der Eingangstür hängt, servieren sie das beste Seafood an der Ostküste.“
„Bestimmt“, sagte Beth ironisch.
Er hielt ihr seinen Arm hin und sie hakte sich bei ihm ein.
Nun, da er durch seine lockere Art das Wiedersehen erleichterte, fragte sie sich ernsthaft, wieso sie ihn nicht mehr liebte. Daryl war ein guter Mann. Am heutigen Tag wirkte er wieder gefasst. Er sorgte immer vor, er kümmerte sich um sie und verhielt sich wie ein Gentleman.
Im Seahorse hängte er ihren Trenchcoat auf, schob ihren Stuhl heran und übernahm nach dem Essen wie selbstverständlich die Rechnung. Bedauerlicherweise war seine aalglatte Fassade langweilig, ihm haftete nicht die Abenteuerlust an, die sie an Kade faszinierte.
Wie hieß es jedoch so schön? Wer mit dem Feuer spielt, wird darin umkommen.
Der Satz hallte in Beth wider, als sie das Restaurant verließen. Bisher hatten sie mit keinem Wort ihre Trennung erwähnt. Da die Auseinandersetzung mit diesem sensiblen Thema jedoch unmittelbar bevorstand, vermied sie es, sich bei Daryl einzuhaken.
Sie zog den Kragen ihres Trenchcoats hoch, weil die Sonne langsam unterging und es merklich abkühlte. Die Brise, die vom Atlantik aufs Festland wehte, empfand sie nun nicht mehr als angenehme Abkühlung, sondern schlichtweg als kalt.
Während sie von der Gale Road aus in Richtung Süden an der Küste entlangspazierten, taten sie sich schwer, über ihre gescheiterte Beziehung zu sprechen.
„Geht es dir gut?“, fragte Beth absichtlich oberflächlich, um das Gespräch behutsam einzuleiten.
Daryls Miene verhärtete sich. „Ich schlage mich so durch.“
„Hast du über uns nachgedacht?“
„Das brauche ich nicht, schließlich hast du mich vor vollendete Tatsachen gestellt.“
Sie war auf der Hut. Würden nun Vorwürfe folgen? „Wir wären ohnehin irgendwann getrennte Wege gegangen, weil wir andere Auffassungen von der Zukunft haben.“
„Differenzen hat jedes Paar, man kann über Probleme sprechen.“ Seine Bemühung, locker zu klingen, wirkte aufgesetzt. „Aber jetzt bist du ja hier.“
Beths Alarmglocken schrillten auf. Dachte er, sie wäre gekommen, um sich mit ihm zu versöhnen?
Sie kamen am Phillips Point vorbei, an dem nur noch ein älteres Pärchen stand und mit einem Fernglas aufs Meer schaute. Die Familien und Ausflügler waren längst heimgefahren. Es kehrte wieder Ruhe in Lynn ein.
„Daryl, mit deiner Prognose hast du leider recht. Wenn ich als Ärztin arbeite, werde ich wenig Zeit haben, eine Tatsache, mit der sich mein späterer Ehemann abfinden muss.“
Tadelnd hob er seinen Zeigefinger. „Beide Partner müssen in einer Beziehung Kompromisse eingehen.“
„Und ehrlich zueinander sein“, rutschte Beth heraus, just als sie am Johnson Park vorbeischlenderten. Um die Situation zu überspielen, deutete sie rasch mit einem Kopfwink zu der
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