Opfermal
die Liste in seiner Hand – etwas über hundert Namen. Sehr viel eher machbar, sicher, aber immer noch entmutigend viele für eine einzelne Person. Und bis jetzt war nichts dabei herausgekommen – er hatte heute erst neun Namen abhaken können und stöhnte, als er sah, dass der zehnte mehr als eine Stunde Fahrzeit entfernt in Fayetteville wohnte.
Schaap blätterte ein paar Seiten weiter und fand eine andere Liste, die der Computer hergestellt hatte, indem er die Friedhofsunterlagen mit einer Liste kreuzte, die er am Morgen von der US Army bekommen hatte. Das Programm hatte außerdem die Namen nach Einheitssymbolen und Örtlichkeit geordnet.
Er fuhr mit dem Finger die Seite entlang, bis er einen Namen in der Stadt Wilson fand.
»Na also«, sagte er. Er beugte sich über den Beifahrersitz und überprüfte die Adresse anhand des Satellitenbilds auf seinem Laptop. »Sergeant Edmund Lambert. 101. Luftlandedivision, 187. Infanterieregiment. Adler und Löwe mit Seehundschwanz. Sehr schön, mein Junge. Dann wirst du Nummer zehn, und danach ist Feierabend für heute.«
Schaap programmierte Lamberts Adresse in sein Navigationsgerät und fuhr los – er entschied sich gegen einen Imbiss bei Bojangles’ und versprach sich dafür ein Steak im Dubliner, wenn er nach Raleigh zurückkam.
Das hatte er sich schließlich verdient.
60
Der General wachte auf dem Teppich im Wohnzimmer auf. Er war dort zusammengebrochen und stundenlang mit dem Löwenkopf auf den Schultern liegen geblieben. Jetzt nahm er ihn ab und setzte sich auf, der Riss auf seiner Brust schrie auf, als er sich aus dem getrockneten Blut und der Scheiße unter sich zog. Seine Wunde begann wieder zu bluten, aber der General saß nur da und sah zu seinem Spiegelbild inmitten der Schweinerei hinauf, die Edmund Lambert angestellt hatte.
O ja, der junge Mann hatte weiß Gott alles versaut. Aber wie sollte er ahnen, dass der Prinz mitten am Tag aufwachen würde? Und wie sollte er ahnen, dass der Prinz von seinem Plan erfahren hatte?
Sinnlos, sich jetzt den Kopf darüber zu zerbrechen, dachte er. Der Prinz war mächtig, und er hatte es herausgefunden. Das war alles, was zählte. Und jetzt war es am General, seine Treue erneut unter Beweis zu stellen und alles geradezubiegen.
Als der General jedoch dasaß und nachdachte, kam ihm in den Sinn, dass der Prinz in all seinem Wüten und Toben ihm nie Visionen von Ereshkigal zeigte. Vielleicht wusste er immer noch nicht, wie sie in die Gleichung passte. Vielleicht besaß sie, da sie ebenfalls eine Göttin war, die Macht, einen Nebelschleier …
Erneut war es sinnlos, darüber zu grübeln. Er musste mit dem Prinzen alles klären. Der Prinz hatte sich gnädig gezeigt und ihn leben lassen, was vielleicht hieß, dass er Edmunds Kommunikation mit seiner Mutter als einen vorübergehenden Ausrutscher betrachtete. Ja, dachte der General, der Prinz brauchte ihn immer noch ebenso sehr, wie er den Prinzen brauchte. Er konnte seine Gedanken zu Ereshkigal und seiner Mutter noch immer verbergen. Und solange er nicht wieder durch den Eingang mit ihnen kommunizierte, bestand vielleicht noch Hoffnung.
Der Eingang.
Der General sah auf den blutigen Schnitt zwischen den Ziffern 9 und 3 hinunter. Der Eingang war aufgebrochen, aber etwas stimmte jetzt nicht, etwas musste in Ordnung gebracht werden. Der General spürte es instinktiv. Er hob den Löwenkopf auf und ging zurück in den Keller. Die Schleifmaschine surrte noch, und er ging in den Werkraum und stellte sie ab, ehe er den Thron-Raum betrat.
Der Geruch von verwesendem Fleisch war heute stark hier drin, aber das störte den General nicht. Er stand da und sah auf die kopflose Leiche auf dem Thron, dann wanderte sein Blick zwischen der Schnitzerei auf dem Tempeltor und der blutigen Tätowierung auf seiner Brust hin und her. Spontan stülpte er sich den Löwenkopf über und wartete auf die Lichtflut, die ihm verriet, dass der Eingang offen war.
Nichts geschah.
Wie er es vermutet hatte, dachte der General und nahm den Kopf ab. Der Eingang war kaputt. Er hatte seine Macht verloren, wahrscheinlich, weil Edmund ihn einerseits tagsüber benutzt hatte und weil der Prinz ihn andererseits durchquert hatte, um Edmund zu zügeln. Aber genau wusste es der General nicht. Es gab immer noch so vieles, was er hinsichtlich der Eingänge nicht verstand. Die klaffende Wunde auf seiner Brust verriet es ihm. Sie war eine Botschaft vom Prinzen wie in alter Zeit. Eine Wunde, die sie gemeinsam heilen
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