Opfermal
kopfüber dort hing und sein Blut in den Ablauf floss. Er hatte dergleichen schon gesehen, beim Morales-Fall, Bilder davon, was die Drogenkartelle mit ihren Gegnern anstellten. Doch es musste nicht so sein, Schaap könnte noch leben. Nichts in den Autopsieberichten wies darauf hin, dass der Pfähler seine Opfer ausbluten ließ …
Ich muss Schaap finden!
Markham befahl sich, ruhig zu bleiben. Wenn der Pfähler merkte, dass er wach war, war er ein toter Mann. Und als hätte er seine Gedanken gelesen, stellte der Pfähler das Wasser ab und drehte sich in seine Richtung um. Markham schloss die Augen, er hörte Bewegung – vermutlich trocknete sich der Pfähler ab –, dann Stille, gefolgt von einem Geräusch, als würde Kreppband von einer Rolle gezogen und abgeschnitten.
Seine Wunde, sagte sich Markham. Er verbindet wohl seine Wunde.
Weitere Bewegung jetzt – der Pfähler kleidete sich an –, und trotz seiner Angst musste Markham das Verlangen unterdrücken, einen Blick auf das Gesicht des Mannes zu werfen. Oh, wie gern hätte er dieses Gesicht gesehen!
Markham fühlte einen kühlen Luftzug vorbeistreichen und hörte nach einiger Zeit ein Klirren aus einem anderen Teil des Kellers. Rasch öffnete er die Augen einen Spalt und sah an sich selbst hinunter. Er war gefesselt, aber an nichts festgebunden; er konnte sich auf den Rücken drehen, wenn er es wollte. Ja, er musste im Keller des Pfählers sein – die Zementwände, das Tropfgeräusch des ablaufenden Bluts und Wassers.
Aber was tun, was tun!?
Schritte näherten sich wieder, und Markham machte die Augen zu – erneut ein Lufthauch und die Wahrnehmung von Bewegung hinter ihm. Sein Verstand arbeitete fieberhaft, er begann in Panik zu geraten und hatte das Gefühl, er würde jeden Moment die Augen öffnen und zu fliehen versuchen – doch plötzlich spürte er, wie der Pfähler die Arme unter seinen Oberkörper schob.
Markham spannte die Muskeln an. Bestimmt musste es der Pfähler bemerkt haben, dachte er, aber einen Augenblick später wurde er von der Werkbank gehoben.
Ich bin als Nächster dran, dachte er. Was immer der Pfähler den anderen angetan hat, bevor er sie aufspießte, das hat er jetzt mit mir vor. Ich muss fliehen!
Nein!, meldete sich die Stimme in seinem Kopf. Bleib ruhig! Er hat die anderen tagelang am Leben gelassen. Er wird dich entkleiden, um auf dir zu schreiben – wahrscheinlich wird er dich auch losbinden. Das Zeitfenster wird klein sein, aber du kannst ihn überraschen, wenn du …
Aus dem Nichts hallte ein lautes Schrillen, wie von einem alten Wecker, durch den ganzen Keller. Markham fuhr zusammen, aber in exakt demselben Sekundenbruchteil fuhr auch der Pfähler zusammen, und das rettete ihn. Dann erstarrten sie beide.
Der Pfähler lauschte, atmete – dann spürte Markham, wie er langsam wieder auf der Werkbank abgelegt wurde.
Erneute Bewegung hinter ihm, und nach einer kurzen Stille glaubte Markham, aus einem anderen Teil des Kellers jemanden reden zu hören. Er öffnete die Augen einen Spalt und lauschte gleichzeitig angestrengt.
Es läutete noch einmal, diesmal länger, und Markham zuckte wieder zusammen.
»Nein!« , rief eine Stimme. »Die Neun ist noch nicht vollständig!« Eine kurze Pause, dann: » Bitte nicht, der Eingang ist noch nicht verheilt! Du darfst nicht durchkommen!«
Es folgte noch etwas Unverständliches, und Markham überlegte fieberhaft, was er tun sollte. Er hört Stimmen, sagte er sich, paranoide Wahnvorstellungen, Borderline-Schizophrenie – der Gott Nergal hinter dem Eingang auf seiner Brust! Der Tempel in Kutha, das Tor zur Hölle!
Es folgten Laute wie von einem knurrenden Tier, das nicht weit entfernt vorbeistrich, dann das hohle Geräusch sich entfernender Schritte, die eine Treppe hinaufstürmten. Eine schwere Tür wurde zugeschlagen, dann Stille.
Markham verschwendete keine Zeit. Er setzte sich auf, zuckte zusammen wegen des Schmerzes im Hinterkopf und sah sich im Raum um. Wie vermutet, hatte er auf einer Werkbank gelegen, er sah Regale voll Werkzeug an der Wand hinter sich – Meißel, Sägen, alle möglichen Schneidegeräte, aber er würde lange brauchen, um seine gefesselten Hände damit freizubekommen. Auf der anderen Seite des Raums stand eine weitere Werkbank voller Flaschen, Gläser und gewundener Röhren – Destillierzubehör, wie es aussah –, außerdem Berge von Büchern und ein alter Phonograph mit einem Stapel alter Schallplatten darauf.
Dann entdeckte Markham
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