Opfermal
etwas am Ende der Werkbank: eine große Schleifmaschine voll verkrustetem Blut. Ohne darüber nachzudenken, woher das Blut kam, sprang er von der Werkbank. Seine Füße waren eingeschlafen, und er fürchtete, jeden Moment umzuknicken, aber es gelang ihm, im Gleichgewicht zu bleiben und die Maschine zu erreichen. Er fand den Schalter, konnte ihn mit seinen tauben Fingern jedoch nicht fühlen. Eine flüchtige Vorahnung überkam ihn, dass die Maschine nicht funktionieren würde, gefolgt von einer zweiten, dass sie zu laut sein würde, falls sie doch funktionierte.
»Scheiß drauf«, flüsterte er und legte den Schalter mit dem Handrücken um.
Das Licht wurde kurz dunkler, aber das leise Surren des Geräts war Musik in Markhams Ohren. Vorsichtig platzierte er seine Handgelenke über den rotierenden Borsten, und das Seil begann zu zerfasern. Er hoffte, er würde das Rad auf seiner Haut spüren, wenn es durchbrach, denn was würde es ihm helfen, die Hände freizuhaben, wenn er sie dann nicht benützen konnte?
85
Cindy wartete, sie stand eine ganze Minute lang auf der Veranda und lauschte, dann läutete sie noch einmal an der Tür. Ihre Fahrt hatte eine halbe Stunde länger als erwartet gedauert; sie hatte die Einfahrt in der Dunkelheit verpasst und war fünfzehn Minuten lang in die falsche Richtung gefahren, ehe sie umdrehte. Ihr eigener Fehler, aber jetzt war sie sicher, dass sie das richtige Haus hatte. Sie erkannte Edmunds alten Pick-up und hatte ein Licht im Obergeschoss gesehen, als sie die Einfahrt heraufgekommen war.
Er muss zu Hause sein, dachte sie. Die innere Tür stand einen Spalt weit offen, und Cindy drückte die Nase an die Gittertür. Vielleicht hat er die Glocke nicht gehört.
Wie könnte er die nicht hören?, meldete sich die Stimme in ihrem Kopf. Und was für ein merkwürdiger Klang überhaupt. Wie ein Summer bei einer Gameshow oder so.
Dann hörte sie, wie irgendwo im Haus eine Tür zugeschlagen wurde, und wartete noch einen Moment.
»Edmund?«, rief sie schließlich und klopfte. »Ich bin’s, Cindy.«
Nichts. Sie holte tief Luft, öffnete die Gittertür und trat ein.
»Edmund?«, rief sie wieder, und ihre Stimme hallte wider, als sie die innere Tür schloss. Es war dunkel im Haus, aber Cindy konnte ein schwaches Licht aus einem Raum am Ende des Flurs sehen, gleich hinter der Treppe. Muss die Küche sein, dachte sie.
»Edmund?«, sagte sie und ging auf das Licht zu. Sie hatte etwa die halbe Strecke zurückgelegt, als plötzlich eine Gestalt aus der erhellten Tür trat.
Cindy fuhr erschrocken zusammen. »Edmund, bist du das?«
Ein lastendes Schweigen – die Gestalt stand einfach nur da, den Kopf vorgereckt, die Schultern hochgezogen. Cindy erkannte im Gegenlicht nur, dass es ein Mann von kräftiger Statur war. Er stand da und sah sie von der Seite an, seine Gesichtszüge lagen vollständig im Dunkeln.
»Edmund ist nicht da«, sagte der Mann schließlich mit tiefer, rauer Stimme. »Und der General auch nicht.«
»Ach so, Entschuldigung«, sagte Cindy verwirrt. »Ich bin ein Freund von ihm – von Edmund, meine ich – von der Uni. Wissen Sie, wann er zurückkommt?«
Ein Ausbruch von Gelächter, hart und erschreckend in seiner Plötzlichkeit, und Cindy begann instinktiv zurückzuweichen. Sie tastete sich mit der Hand an der Wand entlang.
» C’est mieux d’oublier« , sagte der Mann, und Cindys Finger fanden den Lichtschalter. Sie betätigte ihn spontan, und der ganze Flur war mit einem Mal hell erleuchtet.
Sie erfasste alles in weniger als einer Sekunde: die vergilbte Tapete, die sich stellenweise ablöste, die Handvoll cremefarbener Rechtecke entlang der Treppe, wo früher Bilder gehangen hatten, die breite Spur roter Farbe, wie es schien, die sich von den Füßen des Mannes die Treppe hinaufzog. Und dann war da der Mann selbst. Er sah aus wie Edmund Lambert – seine Statur, seine Jeans, das blaue Hemd –, aber gleichzeitig sah er wie ein völlig anderer Mensch aus. Edmunds Bruder? , dachte Cindy für einen Sekundenbruchteil. Sein Haar war nass, verfilzt und unordentlich, und sein Gesicht war zu einer irren Fratze verzerrt, es konnte nur …
Ein Scherz sein. Ja, ertönte eine Stimme in Cindys Kopf: Das Ganze musste eine Art Scherz sein. Natürlich war das Edmund vor ihr, und für einen Moment empfand sie Erleichterung, bevor sie im nächsten die Pistole in seiner rechten Hand sah.
»Was hast du getan?«, flüsterte sie geistesabwesend, aber ihre Beine setzten sich bereits
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