Opfermal
mit ins Kino nimmt, wenn er es hat.«
»Was hat er denn getan, das so schlimm war, dass eure Eltern dachten, er würde dafür in die Hölle kommen? Hat er sich mit den Pandilleros eingelassen?«
»Oh, nein!«
»Was dann?«
Marla schluckte schwer, holte tief Luft und sagte dann: »Darf ich Joses Geheimnis jetzt für ihn beichten, Hochwürden Banigas?«
»Aber mein Kind, nur ein Mensch, der Jesus Christus als Erlöser annimmt und selbst nach Vergebung strebt, kann im Namen unseres Vaters die Absolution erhalten.«
»Bitte, Hochwürden«, rief Marla, und ihre Tränen flossen. »Sie müssen mir helfen. Sie müssen Gott bitten, Jose aus der Hölle zu lassen. Bitte. Ich will nicht, dass mein Bruder dort für alle Zeiten festsitzt. Er war der beste Bruder, den ich je hatte.«
»Psst, mein Kind, ist ja gut. Ich werde mich darum kümmern, okay? Ich werde Jose eine eingeschränkte Absolution erteilen, damit er vor Gott treten und Ihn selbst um Vergebung bitten kann. Wird es dir dann besser gehen?«
» Si! Gracias – ich meine, danke, Hochwürden.«
»Jetzt erzähl mir Joses Geheimnis.«
»Na ja«, begann Marla, »Papa und Mama glauben, dass Jose ein Computerstudium machen wollte, aber ich weiß, dass er sein Geld gespart hat, um auf die Modeschule zu gehen – Sie wissen schon, Kleider entwerfen und so. Ich weiß das nur, weil Jose mit mir zum Vater-Tochter-Tanzen in der Schule gegangen ist.«
»Ich kann dir nicht folgen.«
»Papa hat in der Arbeit nicht freibekommen, weil sie diesem anderen Mann den Blinddarm herausgenommen haben, und wir hatten nicht genug Geld, um ein Kleid für mich zu kaufen. Ich bin aus meinen Sachen aus der vierten Klasse herausgewachsen. Ich war echt traurig, aber dann hat Jose gesagt, er kann es für mich in Ordnung bringen. Er hat mein altes Kleid aufgetrennt und dann zusätzlich Stoff von einem anderen Kleid eingefügt, und es sah wirklich toll aus. Ich musste ihm versprechen, dass ich es geheim halte, und wir haben Mama, Papa und Diego nichts davon gesagt – wir haben ihnen einfach erzählt, eine von Joses Schulfreundinnen habe es gemacht. Jose hätte es Papa und vor allem Diego nie gesagt, denn sie würden denken, Kleider nähen ist etwas für maricóns. «
»Das ist aber kein schönes Wort, mein Kind«, sagte der Priester. »Ich glaube, du meinst Homosexuelle.«
»Entschuldigung, Hochwürden, aber so sagen Papa und Diego zu ihnen. Ach ja, und das mit der Lüge wegen dem Kleid habe ich Pfarrer Gomez schon gebeichtet.«
»Ich verstehe«, sagte Pfarrer Banigas. »Das ist also Joses Geheimnis?«
»Na ja …« Marla zögerte. »Es ist noch nicht alles.«
»Dann sprich weiter.«
»Also es ist so, Hochwürden, dass ich heute für Jose beichte, weil mein Bruder ein mar … – weil er homosexuell war.«
»Warum sagst du das?«
»Weil er mir erzählt hat, er mag Jungs statt Mädchen – aber erst nachdem ich es selbst herausgefunden und ihn gefragt habe, und nachdem ich ihm versprochen habe, dass ich es niemals Papa, Mama und Diego erzähle.«
»Wie hast du es herausgefunden?«
»Jose hatte nach der Schule einen Job bei Best Buy, in der Computerabteilung, aber am Mittwoch- und Samstagabend hat er in diesem anderen Laden gearbeitet, wo er mehr Geld verdiente, wie er sagte. Er hat mir nie gesagt wo – nur dass es ein mexikanisches Restaurant in der Innenstadt war. Aber eines Tages habe ich ihn am Telefon sprechen hören, als er dachte, ich sei draußen spielen, und er hat dieser anderen Person gesagt, dass sie ihn nach der Show im Angel’s abholen könnten, und dann hat er die Adresse in der West Hargett Street genannt. Ich habe in der Schulbibliothek ›Angels‹, ›Show‹ und ›Hargett Street‹ in Google eingegeben und herausgefunden, dass Angel’s ein Klub in Raleigh ist, wo die Homosexuellen hingehen, um Transvestiten-Shows zu sehen. Ich wusste nicht, was eine Transvestiten-Show ist, bis ich es nachgeschaut habe. Es ist eine Show, wo sich Jungen anziehen wie …«
»Ja, ja, ja, ich weiß, was eine Transvestiten-Show ist – aber hast du es deinen Eltern erzählt?«
»Oh, nein! Ich wollte Jose nicht in Schwierigkeiten bringen. Aber ich habe ihn danach gefragt, als wir allein waren. Zuerst war er wütend auf mich und sagte, er wüsste nicht, wovon ich rede, und ich soll mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern. Aber nachdem ich gesagt habe, dass es mir egal ist, ob er homosexuell ist, dass ich es für mich behalten und ihn trotzdem lieber mögen würde als
Weitere Kostenlose Bücher