Opfermal
des Jungen und drückte ihm mit einer Hand die Wangen zusammen, während er mit der anderen das kleine Papierkügelchen durch seine Lippen zwang. Edmund begann zu kreischen, zu weinen und dann zu würgen. Er versuchte das Bild auszuspucken, aber Claude Lamberts große Hand drückte auf seinen Mund und seine Nase, sodass er keine Luft bekam.
»Schluck es, mein Junge«, sagte der Alte nur. »Schluck es.«
Und schließlich schluckte der kleine Edmund Lambert.
Obwohl es warm war im Haus, machte Claude Lambert am Abend ein großes Feuer im Kamin. Er warf das Jahrbuch obendrauf, dann setzte er sich auf den Boden neben seinen Enkel und sah schwitzend zu, wie es verbrannte.
» C’est mieux d’oublier «, sagte er ein ums andere Mal, bis Edmund fragte: »Was bedeuten diese Worte, Großvater?«
»Du erinnerst dich nicht, dass du sie schon einmal gehört hast? Wenn du geträumt hast?«
»Nein.«
Claude Lambert lächelte. »Das ist dann wohl auch ein Geheimnis unter dem Fußboden.«
»Erzählst du es mir?«
Der alte Mann schwieg erneut sehr lange. »Ich erzähle es dir, Eddie«, sagte er schließlich. »Aber nur, wenn du mir versprichst, dass es ein Geheimnis zwischen uns beiden bleibt. Wie bei deiner Mutter.«
»Ich verspreche es.«
»Und du musst mir versprechen, dass du nicht mehr weinst wie ein Baby.«
»Ich verspreche es, Grandpa. Ich bin jetzt ein großer Junge.«
»Das bist du«, sagte sein Großvater. »Das bist du.« Er drehte das Gesicht des Jungen zu sich, packte ihn fest an den Schultern und sah ihm tief in die Augen. »Weißt du, Eddie, diese Worte sind Zauberworte, die ich vor langer Zeit erfunden habe, als ich alle möglichen Dinge im Keller zusammengemixt habe. Ich habe lange gebraucht, um sie zu erfinden, um sie genau richtig hinzukriegen, aber diese Worte sind ein Geheimnis, das im echten Leben niemals ausgesprochen werden darf, außer von mir und vielleicht eines Tages von dir in deinem Kopf. Mit diesen Worten, Eddie, kann ich nämlich in deinen Träumen mit dir sprechen.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Nun, sagen wir, du hast einen schlimmen Traum. Einen Traum, in dem du dich verirrt hast oder in dem dich ein Ungeheuer jagt. Hast du manchmal solche Träume?«
»Manchmal.«
»Nun, ich kann diese Zauberworte in meinen Träumen sprechen und dann zu dir in deine Träume kommen und dir sagen, dass alles in Ordnung ist, sodass du dich nicht mehr zu fürchten brauchst. Und dann kannst du stärker werden. Du kannst alle diese schlechten Dinge abwehren und mutig werden wie ein großer Junge. Verstehst du?«
»Glaub schon.«
»Es ist, als würdest du die ganzen schlechten Dinge, von denen du geträumt hast, vergessen, wenn ich die Worte in deinen Träumen sage, aber gleichzeitig erinnerst du dich tief in deinem Innern daran, und sie werden ein Teil von dir und machen dich stärker. Es ist irgendwie, als würdest du die schlechten Dinge essen, ohne es zu merken. So wie wenn du dein Abendessen isst – einen leckeren Cheeseburger. Wenn du ihn isst, schmeckst du in deinem Mund nur den Käse und den Burger und das Brötchen, richtig?«
»Und den Senf und den Ketchup.«
»Und den Senf und den Ketchup, stimmt. Aber wenn das ganze Zeug erst mal in deinem Magen ist, übernimmt dein Magen den Job, alles herauszufischen, was gut ist, und es zu verwenden, damit du stärker wirst. Und er tut es, ohne dass du es überhaupt merkst.«
»Das hab ich mal im Fernsehen gesehen, Großvater. Man nennt es Verdauung. Deshalb riechen deine Pupse schlecht, hat Mama immer gesagt. Weil wenn dein Magen das ganze gute Zeug rausgefischt hat, fängt er an, das schlechte Zeug abzustoßen, stimmt’s?«
»Ich vergesse immer, wie gescheit du bist, Eddie«, sagte Claude Lambert und lächelte. »Deshalb habe ich mir diese Worte ausgedacht. Damit man das ganze gute Zeug aufnehmen kann und das ganze schlechte rauspupsen. Wie heute. Du hast dich mächtig aufgeregt und Angst gehabt, aber du kannst etwas Gutes daraus ziehen. Ich kann die Zauberworte zu dir sagen – oder du kannst sie sogar selbst in deinem Kopf zu dir sagen, und du kannst größer und stärker werden, weil du weißt, wie man den Schmerz verdaut.«
»Hast du mich deshalb Daddy essen lassen?«
»Ja. Jetzt kannst du ihn vergessen, aber gleichzeitig wird er ein Teil von dir sein, und du kannst stärker werden, weil du ihn gegessen hast. Die Zauberworte helfen dir, das in deinen Träumen zu tun, und sie sind für Sachen, die du nicht essen kannst – sie
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