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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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Er und seine Frau hätten genauso gut auch alleine in der Küche sein können. »Du musst eine Entscheidung treffen, Cara, und diese wird bei Gott endgültig sein! Verstehst du, was ich sage?«
    Sie nickte. Jetzt, da sie es geschafft hatte, Milfords Blick zu begegnen, konnte sie sich nicht mehr von dem Schmerz und der Anklage abwenden, die darin lagen.
    Luther starrte Cara an, aber sie erwiderte seinen Blick nicht. Er wusste, dass dies der entscheidende Wendepunkt war – der Anfang oder das Ende. Cara hielt ihrer aller Zukunft in den Händen.
    Sag’s ihm, Cara! Sag’s ihm! Hab bloß nicht zu viel Angst! Hab keine Angst, bitte!
    Doch sie hatte zu viel Angst.
    »Es war nur zwei Mal, Milford, und es tut mir wirklich leid. Bitte verzeih mir! Wenn Luther tatsächlich auf dem Dachboden lebt, dann schwöre ich dir, dass ich nichts davon wusste.«
    Luther spürte, wie ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.
    Schwarze Luft fegte an ihm vorbei und brüllte in seinen Ohren. Er war verraten, innerlich zerbrochen, und zumindest für ein paar Sekunden konnte er es nicht glauben.
    Dann explodierte die Wirklichkeit dessen, was Cara gesagt hatte, in ihm.
    Die einzige Wirklichkeit, die es gab.
    Er schwebte, er stand zwar, aber er schwebte, das Fleischmesser fest mit seiner rechten Hand umklammert. Er fühlte, wie eine heiße Wut in ihm aufstieg, ein roter Sturm des Hasses, eine rote Flut der Rache, eine rote Welle des Blutes, die anschwoll und sich brach wie ein Ozean …
    *
    Als er erwachte, schwitzte er heftig.. Er dachte, er würde auf seinem Feldbett auf dem Dachboden liegen und hätte einen furchtbaren Albtraum gehabt.
    Puh! Aufgewacht! Alles ist in Ordnung, in Ordnung …
    Nur, dass er nicht geträumt hatte, und es war überhaupt nichts in Ordnung.
    Luther lag nicht auf seinem Feldbett. Er saß auf dem Küchenboden und lehnte zusammengesackt an der Wand. In seinem Kopf regte sich etwas, eine dunkle Bedrohung, die er nicht benennen konnte.
    Er hatte Angst davor, nach links zu blicken, aber er tat es trotzdem.
    Milford lag ausgestreckt in einem scharlachroten See aus Blut neben dem Tisch. Cara lag direkt bei der Tür auf dem Bauch und hatte das Gesicht zu Luther gedreht, sodass er ein offenes Auge sehen konnte. Das andere Auge war von dem Blut bedeckt, das sich dort gesammelt hatte und getrocknet war, wo ihr Gesicht den Boden berührte. Rot, so rot … Ihr Nachthemd war zerrissen, aufgeschlitzt. Sie war aufgeschlitzt!
    O Gott, o Gott, o Gott!
    Luther zwang sich, Milford noch einmal anzuschauen. Viel Blut, aber nicht so viel wie bei Cara. Milford war nur erstochen worden. Ihr Fleisch dagegen war zerschnitten worden, in Fetzen gerissen.
    Cara! Cara!
    Plötzlich musste Luther an den Truthahn über ihm auf dem Tisch denken, den Truthahn, den er zerschnitten und gegessen hatte, die weißen Knochen, das weiße, in Scheiben geschnittene Fleisch, das weiße Fleisch , und die Hautfetzen, die herunterhingen.
    Er rutschte ganz auf den Boden hinunter, stützte sich auf seine Ellbogen und fing an, sich zu übergeben.
    Es dauerte lange, bis er wieder aufhörte.

39
    New York, 2004.
    Der Night Prowler las das Zitat noch einmal. Er spürte, wie Wut in ihm hochstieg, vielleicht auch Angst. Die ganze Welt konnte lesen, hier auf der ersten Seite der Times , was Quinn, dieser Bastard, von sich gegeben hatte:
    Er weiß genau, ob seine Opfer verheiratet sind, selbst wenn die Frauen ihren Mädchennamen behalten haben. Das bedeutet, dass er entweder Zugang zu öffentlichen Registern hat und weiß, wie man sie benutzt, oder er und seine Opfer hatten zuvor schon Kontakt, vielleicht kannten sie sich gut.
    Der Night Prowler knüllte den Vorderteil der Zeitung zusammen und schleuderte ihn in Richtung Papierkorb. Er traf daneben. Egal. Er glaubte nicht an Omen; er glaubte an das Schicksal.
    Er stand auf, ging zum Fenster und blickte hinaus in die Nacht, die ihm gehörte. Die Stadt bestand aus Dunkelheit und verstreuten Punkte aus Licht, jeder davon ein falsches Versprechen. Es gab wenig Farbe in der Nacht, aber sie schenkte Sicherheit.
    Der Literatur zufolge war er an dem Punkt seiner »Karriere« angelangt, an dem er einen großen Druck verspüren sollte, immer öfter zu töten, während er sich insgeheim danach sehnte, gefasst zu werden. Er lachte laut auf und mochte nicht, wie es sich anhörte, fast wie ein Krächzen. Er presste seine Lippen aufeinander.
    Die Literatur hatte nur zum Teil recht. Er wünschte sich überhaupt nicht, gefasst zu

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